Kennen Sie einen Glücklichen, der bald die Freiheiten des Ruhestands genießen darf? Dann benötigen Sie auf jeden Fall ein würdevolles Abschiedsgeschenk mit großer Symbolkraft. Was meinen Sie, würde eine selbst gebastelte Lokomotive diese Anforderungen erfüllen?
[...] ich benötige einen künstlerischen Rat von Dir, da unser Abteilungsleiter leider in Rente geht und ich ihm etwas Persönliches basteln möchte. [...] Was hältst Du von einer Lokomotive nach dem Motto: Das Leben ist eine Reise und so? Dazu würde ich dann noch eine gerahmte Collage mit schönen alten Fotos von Betriebsfeiern machen.
Niederbröker, Andrea: Bitte um Rat für Abschiedsgeschenk. E-Mail vom 04.05.2017.
Müsste ich eine rote Elektrolokomotive der Deutschen Bahn AG als Geschenk zum Ruhestand entgegennehmen, wäre ich innerlich ziemlich traurig. Ich würde mir wohl wie ein beliebig austauschbares Werkzeug vorkommen, welches ausrangiert und auf das Abstellgleis gestellt werden soll. Hingegen wenn mir jemand eine einzigartige Dampflok zum beruflichen Abschied schenken würde, hätte ich vor Rührung Tränen in den Augen. Denn diese alten Stahlrösser sahen nicht nur umwerfend gut aus, sondern standen vor allem für Fortschritt, Kraft, Ausdauer und Entwicklungsfähigkeit.
Dampflokomotiven waren von Anfang an beliebt, da sie den Menschen die Arbeit unheimlich erleichterten. Bereits das erste fahrbare Modell konnte in England im Jahre 1804 zehn Tonnen Stahl und 70 Personen gleichzeitig transportieren.
On February 21, 1804, Trevithick’s pioneering engine hauled 10 tons of iron and 70 men nearly ten miles from Penydarren, at a speed of five miles-per-hour [...].
Barton, Bob: Steam trains and railways. historic-uk.com (05/2017).
Währenddessen Dampflokomotiven in ihrem Geburtsland zunächst vorwiegend als Zugmaschinen für Rohstofftransporte eingesetzt wurden, nutzten die Amerikaner die kraftvollen Eisenbahnen direkt als Personenbeförderungsmittel. Im Jahre 1830 fuhr die erste Lok mit einem Waggon für 36 Fahrgäste regelmäßig von Charleston nach Hamburg (South Carolina). Die durchschnittliche Reisegeschwindigkeit betrug allerdings lediglich 30 km/h, weshalb Züge des Öfteren von berittenen Banditen ausgeraubt wurden.
In 1830, the steam locomotive known as The Best Friend of Charleston was the first locomotive to pull cars in America and regularly carry passengers.
Anonymous: Transportation History: The Steam Locomotive. custom-qr-codes.net (05/2017).
Damit die Lokomotiven schneller fahren konnten, mussten die Dampfkessel immer größer werden. Dies führte zu einem neuen Problem. Der Zugführer konnte dadurch nämlich schon bald nicht mehr sehen, was vor ihm auf den Gleisen war. Vor allem im Süden der USA führte dies seinerzeit oftmals zu Kollisionen mit Rindern, wodurch manchmal sogar ganze Züge entgleisten. Um diesen schweren Unfällen vorzubeugen, entwickelten Eisenbahningenieure den Kuhfänger (englisch cowcatcher), der wie ein Schneepflug vorne an die Dampflok angeschweißt wurde.
That is why locomotive designers invented the cowcatcher.
History TV: History Of Steam Locomotives Documentary. youtube.com (05/2017).
Trotz vieler Kinderkrankheiten wurden Dampflokomotiven schnell unverzichtbare Stützpfeiler ganzer Gesellschaften. Damit lässt sich die Entwicklungsgeschichte der stählernen Transportmaschinen gut mit dem Arbeitsleben eines Menschen vergleichen. Zudem zeigen die tuckernden Kolosse kürzlich aus dem Beruf ausgeschiedenen Senioren, wie wichtig sie weiterhin für die Gemeinschaft sind. Denn auch wenn Dampflokomotiven seit dem 26.10.1977 in Deutschland nicht mehr gewinnbringend eingesetzt werden können, sind diese dennoch nicht auf der Strecke geblieben. So bieten die alten Zugmaschinen heute nicht nur lehrreiches Anschauungsmaterial für angehende Ingenieure und Historiker, sondern sind zugleich immer ein idyllisches Freizeiterlebnis für die ganze Familie.
Es war die 043 903-4 [...] und am 26. Oktober 1977 um 16:04 Uhr war sie kaltgemacht, wie die Eisenbahner sagen. Sie steht heute als Denkmallok vor dem Emder Bahnhof.
Wegener, Ursula: 26.10.1977: Die letzte Dampflokomotive der Bundesbahn wird ausgemustert. swrmediathek.de (05/2017).
Beim Basteln meines Modells orientierte ich mich an der Dampflokomotive 59751 von Baldwin Locomotive Works aus dem Jahre 1927.
Neben einem Sanddom, einer Glocke und einem Schlot habe ich auch einen lustigen Kuhfänger am Dampfkessel angebracht. Bei der Farbauswahl orientierte ich mich am Wappen von König Georg III., in dessen Regentschaftszeit die Dampfeisenbahn im Vereinigten Königreich Großbritannien entwickelt wurde.
Meine Papierlok ist 23 Zentimeter lang, 11 Zentimeter breit und 14 Zentimeter hoch. In der folgenden Anleitung erfahren Sie nun, wie Sie mithilfe meiner Schablonen selbst ein perfektes Abschiedsgeschenk für Neuruheständler basteln können.
Dampflokomotive aus Papier basteln
Zum Basteln einer Lokomotive verwendete ich in erster Linie Tonpapier in drei unterschiedlichen Farben. Für die Zugräder kamen außerdem Schaschlikspieße sowie schwarzer Moosgummi zum Einsatz. Die Verzierungen nahm ich mithilfe von Modellierpaste und Acrylfarben vor. Als Werkzeuge sollten Sie sich zudem eine Schere, ein Bastelmesser, ein Falzbeil samt Lineal, einen Eyelet-Setter, viel flüssigen Kleber und meine DIN A4 Bastelschablonen (#1 /#2 /#3 /#4 /#5 /#6 /#7 /#8) zurechtlegen.
Hinweis: Für eine höhere Stabilität der Lok habe ich jedes Einzelteil immer aus zwei identischen Tonpapierelementen zusammengeklebt. Dank dieser Technik erhielt das Motiv an jeder Seite eine Grammatur von mindestens 260 g/m².
Zuallererst stellte ich den Unterboden der Lok her. Dazu fertigte ich die Elemente von Schablone #1 aus Tonpapier an. Nach dem Verstärken, Einschneiden und Falzen schoss ich außerdem sechs Löcher für die Achsen mithilfe eines Eyelet-Setters in das große Element ein. Daraufhin stellte ich die Knicklinien des Fahrgestells gerade auf und verklebte diese mit sich selbst, sodass das Ganze darauffolgend wie ein Tablett aussah. Wichtig: Damit der Unterboden den schweren Kessel ohne einzuknicken tragen kann, klebte ich schließlich noch die beiden kleinen Stützelemente vor und hinter die Mittelachse.
Als Nächstes bastelte ich das eckige Führerhaus von Schablone #2. Ich schnitt die fünf rundlichen Fenster mithilfe eines Bastelmessers frei und falzte im Anschluss die Knick- und Klebelinien. Danach klebte ich das präparierte Häuschen symmetrisch über die Rückseite des bereits fertiggestellten Unterbodens. Das Motiv sah nach diesen Bastelschritten fast ein wenig wie ein Sattelschlepper ohne Dach aus.
Papierlok bekommt mächtigen Dampfkessel
Der Dampfkessel befindet sich auf Schablone #3. Auch hier verstärkte und falzte ich zunächst alle Einzelteile, ehe ich mich der Front des Führerhauses widmete.
Nachdem ich die Windschutzscheiben aus beiden Elementen freigeschnitten hatte, musste ich eine Front zudem dreimal einschneiden.
- In diese Einschnitte steckte ich dann die beiden gefalzten und gebogenen Kesselwände.
- Damit der Kessel auch gut mit dem Führerhaus verbunden war, klebte ich die gezackten Klebelaschen der Kesselelemente hinter den Einschnitten fest.
- Um den Kessel noch weiter zu fixieren, verkleidete ich die unschönen Klebelaschen zudem mit der zweiten Führerhausfront.
- Im nächsten Schritt befestigte ich den Dampfkessel samt noch fehlender Front am Unterboden und an den Führerhausseitenwänden.
Zwischen den beiden zusammengeklebten Kesselwänden befand sich nun noch eine Schweißnaht. Diese kaschierte ich abschließend mit der breiten Zierleiste von Schablone #3. Als Nächstes brachte ich die Kesselfront von Schablone #4 an. Dazu klebte ich die gezackten Klebelaschen der verstärkten Verbundleiste an einem Kesselgrill fest. Die unschönen Klebestellen verkleidete ich darauffolgend mit dem zweiten Grillelement. Im Anschluss klebte ich die Verbundleiste vorne so auf den Kessel, dass dieser durch die Front komplett verschlossen wurde.
Der Kuhfänger sorgt für freie Fahrt
Den Kuhfänger von Schablone #5 habe ich mithilfe einer simplen Klebetechnik an der Lokvorderseite angebracht. Zunächst befestigte ich das quadratische Element mit den beiden abstehenden Flügeln unten an der Zugfront.
Als Nächstes klebte ich die Flügel nach oben, sodass diese mit der Verbundleiste abschlossen. Daraufhin fixierte ich den Boden des Kuhfängers an der unteren Klebelasche des Flügelelements.
Im Anschluss klebte ich die Oberseite des Cowcatchers in die drei Einschnitte des Quadrats. Danach musste ich nur noch die eckige Schaufel unter die Oberseite und auf den Boden kleben und hatte damit meiner charakteristischen Dampflokomotive einen waschechten Kuhfänger verpasst. Gleich darauf kümmerte ich mich um das dreidimensionale Dach von Schablone #6. Dieses besteht lediglich aus zwei Einzelteilen, weshalb der Zusammenbau selbsterklärend ist.
Dampflokomotiven waren damals einzigartig dekoriert
Im Vergleich zu den heutigen Elektroloks waren die verschnörkelten Stahlrösser von damals äußerst aufwendig verziert. Um dem gerecht zu werden, setzte ich für meine Papierlok ebenfalls verschiedene Dekotechniken ein.
Für eine besondere Haptik bestrich ich das komplette Dach, den Grill und den Kuhfänger mit Modellierpaste. Nach einer Trocknungszeit von 15 Minuten bemalte ich die weiße Paste anschließend mit grauer Acrylfarbe.
Als Nächstes brachte ich die Zierstreifen und das Licht von Schablone #7 am Kessel an. Hinweis: Die Vorderseite des Lichts dekorierte ich ebenfalls mit weißer Modellierpaste. Anschließend fertigte ich die ganzen abstehenden Einzelteile an. Dafür machte ich mir die Quilling-Technik zunutze, welche aus einzelnen Papierstreifen besteht. Aus folgenden Tonpapierstreifen drehte ich mir mithilfe eines angeschnittenen Schaschlikspießes modifizierte Tight Coil Quilling-Figuren:
- Sanddom (Bauch): 120 cm lang und 1 cm breit.
- Sanddom (Deckel): 150 cm lang und 0,5 cm breit.
- Glocke (Stiel): 30 cm lang und 0,5 cm breit.
- Glocke (Kappe): 100 cm lang und 0,5 cm breit.
- Schlot: 350 cm lang und 1 cm breit.
- Puffer (Stiel): 2x 75 cm lang und 0,7 cm breit.
- Puffer (Kappe): 2x 200 cm und 0,5 cm breit.
Nachdem ich die Figuren gedreht hatte, bemalte ich diese mit Acrylfarben. Daraufhin klebte ich die Einzelteile einfach an meiner Dampflokomotive fest.
Sechs Räder bringen die Lokomotive auf die Schiene
Die Elemente zum Basteln der Zugräder befinden sich auf Schablone #8. Ich habe jedes Rad aus sechs unterschiedlich großen und gelochten Moosgummikreisen zusammengeklebt.
Danach verkleidete ich die Lauffläche der einzelnen Räder erst mit Tonpapierstreifen und anschließend mit grauer Acrylfarbe. Außerdem dekorierte ich meine Moosgummikreise noch mit sechs farblich abgestimmten Radkappen.
- Als Nächstes schnitt ich mir drei Achsenstangen aus Schaschlikspießen zurecht, die jeweils zehn Zentimeter lang waren.
- Die kleinen Holzspieße befestigte ich daraufhin in den Achsenlöchern der Lokomotive und steckte daran dann meine sechs Räder fest.
Zu guter Letzt klebte ich noch die beiden Kuppelstangen von Schablone #8 quer über die Zugräder. Damit hatte ich meine selbst gebastelte Dampflokomotive fertiggestellt.
Fazit: Eisenbahn spiegelt die Automatisierung der Gesellschaft wider
Meine Papierlok ist mit Absicht ein Motiv für erfahrene Bastler. Ich konnte mir nämlich nicht vorstellen, dass ein Anfänger auf die Idee kommt, einem Kollegen oder einem Familienmitglied etwas Derartiges zu basteln. Zum Anfertigen eines Exemplars benötigte ich einen ganzen Arbeitstag. Übrigens lässt sich mit der interessanten Entwicklungsgeschichte der Lokomotive nicht nur das Arbeitsleben eines Menschen, sondern auch die Automatisierung der Gesellschaft widerspiegeln.
Am Anfang wurden Schienenfahrzeuge noch von einem Pferd und einem Kutscher bedient. Mit der Erfindung der Dampflok waren dann ein Zugführer und ein Heizer zum Fahren vonnöten. Heute steuert nur noch ein Bahnangestellter einen ICE mit bis zu 1500 Fahrgästen.
Und bald werden Züge völlig ohne menschliche Hilfe fahren, wie es bereits in der Nürnberger U-Bahn der Fall ist. Falls Sie in einem Beruf arbeiten, der von der Automatisierung betroffen sein könnte, sollten Sie sich von den Leitmedien nicht verrückt machen lassen. Führerloses Zugfahren wird nämlich bereits seit 1962 getestet und ist trotzdem noch lange nicht Standard. Manchmal geht alles doch langsamer als man denkt.
Automatic trains were first tested on the London underground in 1962 between Stamford Brook and Ravenscourt Park after years of planning.
Anonymous: 1963: Train drives itself. news.bbc.co.uk (05/2017).
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Rosa Weber sagt:
Guten Tag, was für eine wunderschöne Bastelanleitung. Das es so etwas heute überhaupt noch gibt, ist schon toll. Ich bin 65 Jahre alt und zweifache Oma, die immer auf der Suche nach solchen schönen Dingen wie diesem Zug ist. Vielen Dank für Ihre Schnittmuster, machen Sie bitte weiter so.
Ralph Seyller sagt:
Das ist eine super Bastelanleitung. Für meinen Sohn 9J. möchte ich dieses Jahr gerne einen Adventskalender, als Dampflok mit Anhänger machen. Ich hoffe, dass meiner genauso gut aussieht wie Ihrer.