Zwischen dem Spätmittelalter und der Regentschaft des Alten Fritz trugen Babys aus deutschen Landen keine Schuhe, was am Fatschen¹ lag. Hierbei verbrachten die Säuglinge ihre ersten zwölf Lebensmonate in einem stramm gewickelten Leinentuch, das den Körper formen² sollte und zugleich als Windel³ diente. Sobald die Kleinstkinder ihre Bandagengefängnisse verlassen hatten, richtete sich die zukünftige Fußgarderobe nach dem gesellschaftlichen Status der Eltern, da die Menschen zu jener Zeit strengen Kleiderordnungen⁴ unterworfen waren. Und aufgrund des Umstandes, dass die Bewohner des Heiligen Römischen Reiches in ihrer Mehrheit dem Bauernstand angehörten, mussten die allermeisten Knirpse mit geschlossenen Holzschuhen oder mit Trippen⁵ vorliebnehmen. In ihrer unendlichen Gnade gestanden Aristokraten und geistliche Würdenträger ihren Frondienstleistern aber ebenfalls den Besitz von Bundschuhen aus Rindsleder⁶ zu, die das Gesinde an Kirchtagen zur Schau stellen durfte, wobei das auch nicht für beide Geschlechter galt. Denn bis in das 18. Jahrhundert hinein blieben die viel zu aufreizenden Füße von Mädchen und Frauen natürlich stets unter bodenlangen Tuniken verborgen, damit die Ackersmänner ungestört der lateinischsprachigen Predigt folgen konnten.
Vermutlich war das Rokoko die Blütezeit der Schuhmanufaktur, was sicher nicht zuletzt daran lag, dass es Frauen im 18. Jh. endlich gestattet war, manchmal ihre Füße zu zeigen.
Prange, Patricia: Die Schuhe. Schnabel, Stiefel, Trippe. In: Karfunkel „ABC Der Gewandung” Nr. 1 (2012). S. 35.
Nach den Napoleonischen Kriegen fand im heutigen Deutschland allmählich die Bauernbefreiung statt, woraufhin sämtliche Kleidungsvorschriften aufgehoben wurden. Für die Babys aus Proletarierfamilien änderte sich jedoch nichts, da der Arbeiterklassennachwuchs weiterhin verkleinerte Erwachsenenmodelle tragen musste. Zu jener Zeit lagen schlichte Lederballerinas⁷ im Trend, die wie alle Schuhe seit dem Spätmittelalter gleichförmig waren, also keinen linken und rechten Sohlenschnitt besaßen. Erst im Jahre 1858 erkannte ein Anatom namens Georg Hermann von Meyer⁸ die schädigende Wirkung, die von symmetrischer Fußbekleidung ausging.
Für die Füße bedeutete dies Hühneraugen, Schwielen und gravierende Fuß- und Zehendeformationen. Allzu oft resultierten daraus Rückenprobleme.
Fischer, Dirk & Marie-Therese Mink: Schuhgeschichte: Linker und rechter Schuh. newsdesk.gehwol.de (PDF) (08/2021).
Kurz darauf veränderten die Schuhfabriken ihr Produktionsverfahren und stellten nur noch paarige Exemplare her. Trotz dieser Errungenschaft fehlte noch immer eine eigenständige Kindermode, wodurch vor allem die Füße von kleinen Mädchen weiter malträtiert wurden. Dies lag daran, dass die industrielle Massenfertigung die äußerst beliebten Stiefeletten fürs gemeine Volk erschwinglich gemacht hatte. Und was blieb den Müttern in den 1860er-Jahren anderes übrig, als ihre zweijährigen Gören mit eng geschnittenen Absatzschuhen herumstolzieren zu lassen. Zumal die Modelle aus Atlas-Gewebe⁹ dank der Anilinfarben-Erfindung nicht mehr schwarz-weiß sein mussten und getönte Treter ohnehin anziehend auf freche Früchtchen wirkten.
Die Stiefelette für den Tag war aus Leder oder aus Stoff mit einer Spitze aus Lackleder. Bei festlichen Anlässen waren die Stiefeletten aus Satin oder Taft.
Koch-Mertens, Wiebke: Der Mensch und seine Kleider. Die Kulturgeschichte der Mode bis 1900. Zürich: Artemis & Winkler Verlag 2000.
Am Ende des 19. Jahrhunderts spotteten Modezeitschriften¹⁰ über rückständige Eltern, die ihre Kinder immer noch wie kleine Erwachsene kleideten. Aber anscheinend fiel den Redakteuren selbst keine Alternativgarderobe ein, weshalb plötzlich die meisten deutschen Jungen und Mädchen mit einer Kieler Bluse¹¹ umherlaufen mussten. Dabei handelte es sich um einen Matrosenanzug, der mit neuartigen Spangenschuhen kombiniert wurde. Trotzdem war die Trendwende ein Segen für Halbwüchsige, durften sie ab sofort flache und rundliche Slipper tragen, in denen sich ihre zarten Füßchen ungehindert entwickeln konnten.
Als bevorzugtes Material für Spangenschuhe gilt seit jeher glänzendes schwarzes Lackleder, doch sein wichtigstes Erkennungszeichen ist nicht das Material, sondern der Riemen; er ist vergleichbar mit den Stützrädern an einem Fahrrad, denn er bereitet kleine Mädchen auf ihr erster Paar riemenlose Pumps vor.
O’Keeffe, Linda: Schuhe. Eine Hommage an Sandalen, Slipper, Stöckelschuhe. Königswinter: Tandem Verlag GmbH 2005.
Im Jahre 1904 startete die größte Schuhfabrik Nordamerikas eine Werbekampagne mit einer Comicfigur namens Buster Brown, die der populäre Cartoonist Richard Outcault erschaffen hatte. Dabei war der freche Zeichentrickheld in ein Mädchen verliebt, das Mary Jane hieß und welches auf jedem Bild mit süßen Spangenschuhen¹² zu sehen war. Und obwohl es weder Radio noch Fernsehen gab, gelangten die beiden Protagonisten rasch zu weltweiter Bekanntheit. Das führte wiederum dazu, dass selbst die Menschen im Deutschen Kaiserreich irgendwann damit anfingen, Riemchen-Halbschuhe als Mary Janes zu bezeichnen.
Nachdem in den 1910er-Jahren zusätzlich preisgünstige Sneaker erfunden worden waren, glaubte hierzulande eigentlich niemand mehr, dass es in Friedenszeiten jemals wieder Probleme mit Kinderfußbekleidung geben würde. Doch wenngleich im März 2020 weder Rotarmisten an der Oder-Neiße-Grenze standen noch Deutschland seinen Anspruch auf Elsass-Lothringen geltend machte, hatten alle Schuhläden im Bundesgebiet geschlossen. Das lag natürlich an der Corona-Pandemie, die eingedämmt werden sollte, indem nur noch der versorgungsrelevante Handel¹³ öffnen durfte.
Bundesweit werden umfangreiche Schließungen von Geschäften beschlossen. Ausgenommen sind Läden, die lebenswichtige Waren anbieten.
Bensemann, Marcus: Corona-Chronologie: März 2020. ndr.de (08/2021).
Obwohl die Füße von Ein- bis Dreijährigen circa 1,5 Millimeter im Monat¹⁴ wachsen, entschieden führende Landespolitiker, dass Schuhe keine fundamentalen Güter seien. Bei Kritik verwiesen die Volksvertreter auf Online-Marktplätze, auf denen Baby- und Kindergrößen aber bereits nach wenigen Wochen ausverkauft waren. Kein Wunder, schließlich sind Internet-Händler aufgrund fehlender Lagerhaltung auf eine funktionierende Lieferkette nach Fernost angewiesen, die jedoch ebenfalls zum Erliegen kam.
Der Marktanteil von Schuhen, die in Europa gefertigt werden, liegt aktuell bei rund 4%.
Geiger, Boris: Nachhaltige Sneaker. Gut zu wissen | BR-Fernsehen (2019).
Trotz des Umstandes, dass ich wie ein Proletarier des 19. Jahrhunderts nichts außer meiner Arbeitskraft besitze, hatte ich während der Lockdowns stets Zugriff auf ein Automobil. Durch diesen Vorteil konnte ich auf eBay Kleinanzeigen auch die Angebote wahrnehmen, die weit außerhalb meines Einzugsgebiets liegen.
- Und so musste ich teilweise bis zu 45 Kilometer fahren, um gebrauchte Schuhe für meinen Sohn kaufen zu dürfen.
Zum Glück organisierten subversive Eltern im Frühjahr 2021 bundesweite¹⁵ Protestaktionen, woraufhin die Legislative ihre erlassenen Corona-Beschränkungen überarbeitete.
Sie folgen den Aufrufen aus den sozialen Medien und stellen vor dem Rathaus Kinderschuhe ab. Als Protest gegen die Corona-Beschränkungen.
Bernhardt, Kathleen: Eltern protestieren mit Kinderschuhen gegen Corona-Politik. MDR Thüringen Journal (2021).
Erst die schwierige Covid-19-Zeit zeigte mir, wie wichtig Fußbekleidung für Heranwachsende ist. Schließlich verwandelt sich auch meine bayerische Heimat immer stärker in eine versiegelte Asphaltwüste, die sich nur noch mit dicken Sohlen durchqueren lässt. Um die Bedeutung von Kinderschuhen hervorzuheben, wollte ich das Internet mit selbst gebastelten Mary Janes bereichern. Schließlich waren bequeme Slipper-Paare die ersten Treter, die vorrangig für Rotznäschen hergestellt wurden.
- Dabei besitzt meine Interpretation die authentische Lacklederoptik, die ich mithilfe einer speziellen Technik auf dem Obermaterial erzeugt habe.
- Darüber hinaus kommen meine neun Zentimeter¹⁶ langen Spangenschuhe nicht nur mit weichen Fußbetten daher, sondern warten ebenfalls mit einer rauen Korksohle auf.
- Außerdem erhöhte ich den Niedlichkeitsfaktor, indem ich die Form der Papierkunstwerke an Entenpaddel anglich. Schließlich watscheln kleine Stöpsel beim Laufenlernen ähnlich wie Wasservögel an Land.
Wer also sein Babyparty-Geschenk personalisieren möchte oder einzigartigen Fußschmuck für seine Lieblingspuppe sucht, der kann meine historischen Exemplare ohne Weiteres nachmachen. Hierfür sind lediglich diverse Schnittmuster sowie eine Bildanleitung vonnöten, wovon ich beides im Folgenden kostenlos zur Verfügung stelle.
Süße Mary Janes
Bevor ich mit dem Basteln loslegen konnte, musste ich mir zunächst einmal mein Material zurechtlegen. Und so kramte ich als Erstes einen rehbraunen Tonpapierbogen hervor, mithilfe dessen ich das künstliche Außenleder darstellen wollte. Hingegen die Schuhstabilität erhöhte ich, indem ich einen gelben Fotokarton einsetzte, der eine Grammatur von 300 g/m² besaß. Des Weiteren nahm ich für die Repräsentation der Laufsohle eine Rayher Korkplatte zur Hilfe, die drei Millimeter dick war. Darüber hinaus sollte das Baby-Thema besonders gut zum Vorschein kommen, weshalb ich das Innenleben des Fußkleids mit samtig-weichen Filzapplikationen ausstaffierte. Neben den offensichtlichen Elementen griff ich während des Zusammenbaus ebenfalls auf einen satinierten Klebelack und eine Acrylfarbe im Ton „Gebrannte Siena” zurück. Doch natürlich brachten mir die ganzen Utensilien erst etwas, nachdem ich meine DIN A4 Schablonen (#1 /#2 /#3 /#4 /#5) ausgedruckt hatte.
Selbstverständlich begann ich mit der ersten Vorlage, von der ich zunächst einmal das Sohlen-Schnittmuster heraustrennte, damit ich davon jeweils eine Kopie aus Fotokarton und Bastelfilz herstellen konnte. Direkt im Anschluss klebte ich die beiden Einzelteile aufeinander, woraufhin ich das Fundament eines linken Papierschuhs vor mir liegen hatte. Natürlich ging das Basteln eines rechten Slippers genauso vonstatten, wobei ich die Schablone in diesem Fall vor dem Abzeichnen wenden musste. Als Nächstes ging ich zum zweiten Ausdruck über, da ich nun die Fersenseite des Mary Janes anfertigen wollte.
Um das sogenannte Schuhquartier zusammenzubauen, stellte ich aus den beiden Tonpapierkämmen zunächst einmal ein zweilagiges Sandwich her. Unmittelbar danach machte ich die nach unten wegstehenden Zacken mithilfe eines Falzbeins beweglich, sodass ich diese nacheinander aufstellen konnte. Dann erzeugte ich einen weichen Hacken-Bereich, indem ich die zuvor erzeugte Filzapplikation im gleichförmigen Zellstoffrahmen befestigte. Nachdem ich daraufhin die heraufblickenden Spitzen an ihren Innenseiten mit Klebstoff bestrichen hatte, fügte ich die Brandsohle im Fersenelement ein.
Nun wollte ich das Ganze in eine offene Riemchensandale verwandeln, weshalb ich das nach links wegstehende Band zur Mitte hinbewegte, um es am Innenfutter des gegenüberliegenden Schuhquartiers befestigen zu können. Als Nächstes klebte ich die rechte Lasche symmetrisch über den gespannten Gürtel, woraufhin mein Fußkleid einen ästhetischen Verschluss erhalten hatte.
Versteckte Söckchen
Noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts legten Frauen ein promiskuitives Verhalten an den Tag, wenn sie eng anliegende Strümpfe ungeniert zur Schau stellten. Aus diesem Grund besaßen klassische Mädchen-Mary-Janes oftmals eine schützende Zunge¹⁷ als Oberleder, die in der Spange mündete und zugleich als Einstiegshilfe diente. Um dieses T-förmige Riemchen zu basteln, schnitt ich mir zunächst das Element von Schablone #3 zweimal aus rehbraunem Tonpapier zurecht. Nachdem ich dann die beiden Module aufeinandergeklebt und die Spitzen vorgeknickt hatte, verankerte ich die schmale Kopflasche inmitten des Verschlussbügels, wohingegen ich das Schuhquartier mit den abstehenden Flügeln verkleidete.
Als Nächstes vollendete ich die Slipperform, indem ich über die verbliebene Lücke eine Zehenkappe klebte, die ich mithilfe der vierten Vorlage angefertigt hatte. Direkt im Anschluss veredelte ich mein niedliches Fußkleid. Hierfür nahm ich eine kostbare Korkplatte zur Hand, damit ich das letzte Schnittmuster auf dem Naturprodukt anlegen und eine robuste Laufsohle herausschneiden konnte.
Und aufgrund des Umstandes, dass das hölzerne Gewebe von Haus aus nicht nur ein individuelles Muster, sondern ebenfalls eine aufregende Haptik besitzt, machte ich die ovalförmige Fläche ohne weitere Verzierung direkt am Spangenschuhboden fest.
Die Versieglung
Zu guter Letzt wollte ich meinen Mary Jane mit einer Glattleder-Optik aufwerten, weshalb ich die Tonpapieroberfläche des Slippers komplett mit rotbrauner Acrylfarbe einstrich. Dabei trug ich das Kolorationsmittel immer von links nach rechts auf, um später ein gleichmäßiges Muster zu erhalten. Als mein Babypuschen dann ein einheitliches Antlitz besaß, legte ich das Ganze fünf Minuten lang zum Trocknen.
Sobald die Kunststofffarbe ausgehärtet war, brachte ich den Spangenschuh zum Glänzen, indem ich die getönte Fassade mit einem satinierten Klebelack übertünchte.
Egal, ob von Décopatch, Creall Découpage oder CLÉOPÂTRE, 250 Milliliter des satinierten Klebstofflacks kosten zwischen 6,00 und 10,00 Euro.
Vetter, Sascha: Decoupage - ein Basteltrend. gws2.de (08/2021).
Nach dem Einwirken konnte ich dann feststellen, dass der Firnis nicht nur einen speckigen Politur-Effekt, sondern ebenfalls eine raue Lederhaptik hervorgerufen hatte.
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¹Stühlmeyer, Barbara: Kinder im Mittelalter. In: Karfunkel Nr. 109 (2013). S. 7.
²Farmer, Jacqueline: Wickeln, Windeln, wegwerfen. youtube.com (08/2021).
³Vetter, Veronika Helga: Windel basteln - stabile Verpackung für Babygläschen. bastelkommission.de (08/2021).
⁴Henning, Björn & Daniel Pokorzynski: Geschichte der Mode: Mode im 19. Jahrhundert. gentleman-blog.de (08/2021).
⁵Sturm, Sascha: Klompen, Holsken, Trippenmaker. In: Karfunkel Nr. 54 (2004). S. 90.
⁶Heide, Stefan von der: Grundmodelle von Schuhtypen. In: Miroque Nr. 12 (2013). S. 58.
⁷Walford, Jonathan: Der verführerische Schuh. Modetrends aus vier Jahrhunderten. Heidelberg: Edition Braus im Wachter-Verlag GmbH 2007.
⁸Ruisinger, Marion Maria: Schuhreform. dmm-ingolstadt.de (08/2021).
⁹O’Keeffe, Linda: Schuhe. Eine Hommage an Sandalen, Slipper, Stöckelschuhe. Königswinter: Tandem Verlag GmbH 2005.
¹⁰Weber, Paul: Schuhe - Drei Jahrtausende in Bildern. 2. Auflage. Aarau: AT Verlag 1982.
¹¹Lohmar, Henry: Matrosenanzug: Ausdruck des Militarismus und modisches Stück. maz-online.de (08/2021)
¹²Rae, Issa: Buster Brown Shoes - Life in America. youtube.com (08/2021).
¹³Neumann, Helge: Schuhgeschäfte in Bayern müssen schließen. schuhkurier.de (08/2021).
¹⁴Rubner, Jeanne: Auf die Größe kommt es an. Planet Wissen (2019).
¹⁵Weichert, Thomas: Protestaktion „Aktion Kinderschuhe“ vor dem Gößweinsteiner Rathaus. wiesentbote.de (08/2021).
¹⁶Exakte Maße: Länge 90 Millimeter x maximale Breite 55 Millimeter x Höhe 55 Millimeter. Schuhgröße 15 (Pariser Stich).
¹⁷Sánchez-Castilla, Ana Maria: Klassische Leder-Babyschuhe. myspanishsoul.com (08/2021).