Es mag unglaublich klingen, aber bis zur Biedermeierzeit¹ kochten die Menschen in deutschen Landen über offenem Feuer. Dementsprechend mussten Teigwaren entweder in Tontöpfen² zubereitet oder mühevoll zu öffentlichen Backöfen gebracht werden. Erst ab den 1830er-Jahren zogen kastenförmige Küchenhexen in die hiesigen Haushalte ein. Diese transportablen Eisenherde verfügten über eine kleine Bratröhre³ und ließen sich anfänglich mit Holz oder Kohle beheizen. Für die Frauen waren die heißen Metallschränke Fluch und Segen zugleich. Auf der einen Seite erleichterten die Kochmaschinen den Alltag ungemein. Andererseits forderten die Ehemänner nun häufiger Mehlspeisen, was oftmals zu Streit und Tränen führte. Vor allem krachte es, wenn der kostspielige Tortenboden einem steinharten Keks glich, da der Eischnee bei der Biskuitteigherstellung keine ausreichend steife Konsistenz⁴ besessen hatte. Natürlich passierte das ausgerechnet immer dann, wenn die ungeschickten Weibsbilder ohnehin schon angespannt und unzugänglich für anderweitige Stressabbau-Methoden waren. Denn damals wie heute behaupten manche Damen, dass sie im menstruierenden oder schwangeren Zustand weder Sahne⁵ noch Eiweiß in eine zähflüssige Masse verwandeln können.
Das kann ich bestätigen: Wenn Frau mal wieder ihre Menses hat, sind Schlagsahne, Eischnee, Hollandaise und Maio an solchen Tagen nicht hinzubekommen!
phifeha: Binsenweisheiten wie Sahne schlagen. rund-ums-baby.de (06/2021).
Durch die staatsformenden Kriege zwischen Österreich, Preußen und Frankreich besaß niemand freie Ressourcen, um den dauerhaft schwelenden Backkonflikt in deutschen Haushalten zu lösen. Erst als in Mitteleuropa wieder Frieden herrschte und die Gründerzeit beginnen konnte, ging ein Naturwissenschaftler namens Dr. August Oetker die Sache an. In der heimischen Küche entwickelte der Bielefelder Apotheker⁶ ein Triebmittel, dass auch dann luftige Kuchen- und Tortenböden erzeugte, wenn die weibliche Biologie das Steifwerden des Eiweißes wieder einmal verhindert hatte. Um seiner auserkorenen Zielgruppe weiter gerecht zu werden, richtete der weitsichtige Tüftler sein Produkt für die private Einmalnutzung aus, indem er seinen Pfennigartikel grammweise verpackte.
Ferdinand Oetker: Mein Urgroßvater hat das Backpulver nicht erfunden, er hat es für jede Hausfrau nutzbar gemacht.
Oldenburg, Manfred: Die Oetkers: Tradition ist ihr Rezept. Phoenix-Doku (2010).
Wie wichtig gelungenes Gebäck für Eheleute im Deutschen Kaiserreich war, lässt sich daran erkennen, dass Oetker kurz nach der Backin-Markteinführung im Jahre 1893 bereits 75 Arbeiterinnen einstellen konnte.
Dr. August Oetker macht von Anfang an satte Gewinne. Schon im ersten Jahr stellt er 75 Arbeiterinnen ein.
Nelsen-Minkenberg, Heike: Die Oetker-Story. ZDF-Doku (2016).
Noch im 19. Jahrhundert brachte der ostwestfälische Frauenversteher weitere Haushaltshelfer wie das Puddingpulver und den Vanillezucker⁷ heraus, was einen regelrechten Backboom auslöste. Besonders die Buttercremetorte⁸ ließ sich nun dank chemischer Ingredienzien leicht zubereiten und stieg seinerzeit zum Nationalgericht auf.
Nach dem Ersten Weltkrieg begann eine lange Phase der Mangelwirtschaft, weshalb die Deutschen zumindest auf den öffentlichen Tortenverzehr⁹ verzichteten. Erst als im Jahre 1950 die letzten Lebensmittelmarken in den westlichen Besatzungszonen abgeschafft wurden und die Fresswelle in Schwung kam, galt das Motto: Nicht kleckern, sondern klotzen! Ausgestattet mit der harten D-Mark gaben die Bundesbürger die Hälfte des durchschnittlichen Monatslohns für Essen¹⁰ aus, wodurch es bei Dr.-Oekter-Produkten stellenweise zu Lieferengpässen kam.
1950 verkauft Oetker 400 Millionen Päckchen Backpulver und 350 Millionen Päckchen Puddingpulver. Mit seinen Produkten passt er perfekt in die Zeit.
Oldenburg, Manfred: Die Oetkers: Tradition ist ihr Rezept. Phoenix-Doku (2010).
Während des Wirtschaftswunders nutzten die Hausfrauen ihre neuartigen Elektroherde besonders gerne, um darin den Teig für eine Schwarzwälder Kirschtorte oder einen Frankfurter Kranz zuzubereiten. Befeuert wurde dieser Trend von kitschigen Heimatfilmen, die zu dieser Zeit äußerst populär waren.
Heimatfilme wie „Schwarzwaldmädel” und „Grün ist die Heide” entsprachen den Sehnsüchten der Zeit und wurden zu Kassenschlagern.
Backzeitreise. Trends & Klassiker aus sieben Jahrzehnten. Hrsg. von Tanja Dusy & Alessandra Redies. München: Gräfe und Unzer Verlag GmbH 2017.
Nachdem die Pantoffelhelden knapp 150 Jahre lang beim Backen zugesehen hatten, machten sich in den 1970ern immer mehr Männer mit dem heimischen Herd vertraut. Dies könnte an technischen Neuheiten wie dem RG 28 gelegen haben. Dabei handelte es sich um ein elektrisches Handrührgerät, das in der DDR produziert und vom Versandhändler Quelle nach Westdeutschland importiert wurde. Mit dem 170 Watt starken Mixer ließen sich nicht nur Sahne, Eiweiß und Mayonnaise in kürzester Zeit steif schlagen. Vielmehr konnte der Botschafter des Sozialismus ebenfalls Dosen öffnen, Messer schleifen und Gemüse pürieren.
Der kleine Handrührer wurde einst im thüringischen Zella-Mehlis hergestellt, millionenfach produziert und in die halbe Welt geliefert. Nach Ost und vor allem auch nach West.
Bergmann, Christian: RG 28, WM 66 und Stern-Recorder. Exakt - Die Story (2020).
Eine vielseitige Küchenmaschine war während des RAF-Terrors auch unabdinglich, da Mehlspeisen seinerzeit gerne mit exotischen Konservenfrüchten garniert wurden. Auch Dr. Oetker sprang sofort auf den Fernwehexpress auf, indem das Unternehmen sein Gelatine Fix für die beliebten Schokoladen-Ananas-Torten¹¹ oder Käse-Sahne-Kränze bereitstellte.
Heutzutage geht es in den heimischen Backstuben häufig seelenlos zu. Moderne Torten sind entweder vegan oder fingerdick mit ekelhaftem Fondant überzogen. Längst geht Optik vor Geschmack, was an richtungsweisenden Influencerinnen¹² liegt, die ihre Teigerzeugnisse für soziale Netzwerke erschaffen. Wer wenig empfänglich für den ostentativen Zeitgeist ist, der kann bis zum nächsten Trend auf bewährte Klassiker zurückgreifen oder meine Papieralternative basteln.
- Dabei besitzt mein Zellstoffkranz die Form eines Dekagons, da er sich aus zehn identischen Dreiecken zusammensetzt, die jeweils 10,5 Zentimeter lang¹³ sind.
- Indem alle Schnittchen über eine ineinandergesteckte Pendeltüre verfügen, lassen sich die Schachteln ebenfalls als Geschenkverpackungen nutzen.
- Darüber hinaus markiert der durchdachte Schließmechanismus gleichzeitig die Rückwand eines jeden Behältnisses. Trotz der beweglichen Törchen ist es überall möglich, die Stücke zusätzlich mit Glasuren oder mit Schichttorten-Fassaden zu verzieren, ohne dass die Funktionalität der Eingriffsysteme beeinträchtigt wird.
Doch nun kommt das Beste: Um die gleichschenkligen 36-Grad-Trigone herzustellen, ist nur ein einziges Schnittmuster vonnöten, das bequem auf eine DIN-A4-Seite passt. Dementsprechend können selbst ungeübte Scheren-Jongleure mein festliches Deko-Backwerk in Windeseile nachbauen.
Rezept und Vorlage
Um zu verdeutlichen, dass meine Papiertorte zu den Anfängermotiven zählt, habe ich bei meinen Ausstellungsstücken auf außergewöhnliches Bastelequipment verzichtet. Stattdessen fertigte ich die zehn Dreiecke aus handelsüblichem Tonpapier an, das über eine Grammatur von 130 g/m² verfügte. Hingegen die Cremeschichten erzeugte ich aus feiner Strohseide, die es beispielsweise in Drogeriemarktketten zu kaufen gibt. Des Weiteren nahm ich unspektakuläre Werkzeuge wie eine Schere, einen flüssigen Kleber, ein Falzbein und ein Hobbyskalpell zur Hilfe. Außerdem verwendete ich noch einen gewöhnlichen Schwarz-Weiß-Drucker, um meine digitalisierten PDF-Schablonen¹⁴ in eine analoge Form zu bringen.
Neben dem Design und dem Bedienkomfort kam es mir bei meinen Tortenstücken ebenfalls auf die Stabilität an. Demzufolge stellte ich jede Dreiecksschachtel mit verstärkten Wänden her. Hierfür druckte ich das erste Schnittmuster direkt auf zwei Tonpapierbögen, die ich zuvor in das DIN-A4-Format gebracht hatte. Daraufhin nahm ich meine Bastelwerkzeuge zur Hand, damit ich die beiden Vorlagen nach dem Freistellen nicht nur aufeinanderkleben, sondern auch beweglich machen und einschneiden konnte.
Direkt im Anschluss legte ich das präparierte Basiselement erst einmal beiseite. Daraufhin erzeugte ich mithilfe meines Druckers eine Tonpapierkopie von der zweiten PDF-Schablone. Nachdem ich dann die drei Applikationen ausgeschnitten hatte, stattete ich die Glasurfassaden mit floralen Ornamenten aus. Hierfür ließ ich die Einzelteile zusammen mit einer Blumenprägeplatte durch meine Sizzix Big Shot¹⁵ Maschine.
Als Nächstes kolorierte ich die herausstehenden Blüten mit diversen Acrylfarben. Unmittelbar danach machte ich die verschnörkelten Verkleidungen an der großflächigen Faltvorlage fest, wobei ich den trigonal geformten Überzug vor dem Aufkleben falzen und die passive Verschlussdecke mittig einschneiden musste.
Der Zusammenbau
Bevor ich nun das doppelwandige Grundgerüst in ein Tortenstück verwandeln konnte, legte ich die vorgeknickte Plattform erst einmal auf ihren verzierten Rücken. Direkt im Anschluss stellte ich den rechten Flügel auf, da ich die kleine Lasche auf der Außenseite mit Kleber bestreichen wollte. Gleich darauf schlug ich das linke Glied zweimal nach innen ein, sodass sich die feuchte Papierzunge mühelos mit dem eingeschnittenen Dreieck verbinden ließ.
Nachdem ich erfolgreich einen Hohlkörper erzeugt hatte, verschloss ich den Rand des Tortenstücks, indem ich das nackte Bodenviereck hinter dem gemusterten Kopfstück versteckte. Dann musste ich nur noch die Pendeltüre ineinanderstecken, um meine Geschenkverpackung fertigzustellen. Doch damit nicht genug: Aufgrund des Umstandes, dass mir die beiden Seitenwände zu kahl erschienen, staffierte ich meine Zellstoff-Teigware abschließend noch mit drei Strohseidenstreifen aus, welche die einzelnen Cremeschichten symbolisieren sollten.
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¹Paczensky, Gert von & Anna Dünnebier: Leere Töpfe, volle Töpfe. Die Kulturgeschichte des Essens und Trinkens. München: Albrecht Knaus Verlag GmbH 1994.
²Vetter, Veronika Helga: Torte aus Papier basteln - eine hochwertige Geschenkverpackung. bastelkommission.de (06/2021).
³Jansen-Greef, Lothar: Küchenherd - Küchenhexe - Stangenofen. youtube.com (06/2021).
⁴Allkemper, Gisela: Das kleine Backbuch für Kuchen und Torten. Münster: Verlag Wolfgang Hölker 1983.
⁵Glückspilz2014: Können Schwangere Sahne steif schlagen? mamacommunity.de (06/2021).
⁶Ruschkowski, Katharina von: Die Revolution in der Küche. In: P.M. History Nr. 11 (2020). S. 41.
⁷Kaiser, Mirko: 125 Jahre Dr. Oetker. Backe, backe, suchen. In: ÖKO-TEST Nr. 1 (2016). S. 54.
⁸Bergmann, Renate: Das kann man doch noch essen. Renate Bergmanns großes Haushalts- und Kochbuch. Reinbek: Rowohlt Taschenbuch Verlag 2017.
⁹Lindemann, Margarete: Geschichte in Geschichten. schuettorf.bplaced.net (PDF) (06/2021).
¹⁰Backzeitreise. Trends & Klassiker aus sieben Jahrzehnten. Hrsg. von Tanja Dusy & Alessandra Redies. München: Gräfe und Unzer Verlag GmbH 2017.
¹¹Scheffler, Ute: Torten, Kuchen & Gebäck. Unsere besten Rezepte der 1970er. Leipzig: BuchVerlag für die Frau GmbH 2013.
¹²Özcan, Saliha: Schoko-Sahne Schnitte nachgemacht / Dr. Oetker / luftig lecker + vegan. youtube.com (06/2021).
¹³Exakte Maße: Dreieckige Schachteln - Länge 105 Millimeter (Basis bis Spitze) x Höhe 55 Millimeter. Die gesamte Papiertorte besitzt einen Durchmesser von 230 Millimetern.
¹⁴Bei den Druckeinstellungen „Hochformat” und „Tatsächliche Größe” auswählen.
¹⁵Schott, Vera: Kurz vorgestellt: Sizzix Big Shot. youtube.com (06/2021).