In multikulturellen Gesellschaften trägt das Hausschwein zur Segregation bei, da es gleichzeitig vergöttert und verteufelt wird. Währenddessen sich muslimische Asylbewerber fragen, ob sie in Schweinfurt¹ leben dürfen, öffnet der Durchschnittseuropäer nach dem Kotelettessen seinen obersten Hosenknopf. Hingegen in der autochthonen deutschen Bevölkerung gelten die rosafarbenen Rüsseltiere sogar als Glücksbringer. Bereits Ende des 19. Jahrhunderts etablierte sich hierzulande der Brauch, am Silvesterabend kleine Borstenviecher aus Salzteig, Marzipan² oder Pappmaschee zu verschenken.
Ein Höhepunkt ist die Kontainerfigur, die üblicherweise aus Pappmaschee gefertigt und mit Konfekt oder Bonbons gefüllt wurde.
Derka, Hedwig: Glücksbringer. Warum muss man zu Silvester Schwein haben? kurier.at (12/2022).
Aber warum suchten sich die Bewohner Germaniens grunzende Paarhufer als Neujahres-Maskottchen³ heraus? Gut, Schwein mussten die Menschen bereits im römisch-deutschen Kaiserreich haben. Wenn am Gründonnerstag⁴ der Schweinezins fällig war, forderten manche Grundherrn von ihren Fronhöfen jeweils einen gemästeten Eber⁵ im Wert von 20 Denaren. Konnte ein Bauer nicht liefern, dann verlor er sein Pachtland und damit die Lebensgrundlage seiner Familie.
Auch bei spätmittelalterlichen Wettkämpfen in Dörfern oder auf städtischen Jahrmärkten ging es keineswegs zimperlich zu. So hatte der letztplatzierte Teilnehmer Schwein, wenn er bei einem Geplänkel weder schwer verletzt noch umgekommen war. Dementsprechend bekam der Schlechteste in einem Turnier häufig ein Ferkel als Trostpreis geschenkt.
Er musste zwar auch einiges an Hohn und Spott über sich ergehen lassen, war letztlich aber doch der Glückliche. Denn Schweine brauchen kein teures Futter und sind mit etwa sechs Monaten bereits schlachtreif.
Sadrozinski, Carolin: Gut zu wissen! Warum Schweine Glück bringen. stuttgarter-nachrichten.de (12/2022).
Kurz vor der Reformation änderten sich im Heiligen Römischen Reich die Machtverhältnisse. Vor allem in den urbanen Gebieten gewannen Handwerkergilden und Kaufmannsverbände immer mehr an Einfluss. Plötzlich gehörten Schweinezüchter und Viehhändler zu den wohlhabendsten Menschen ihrer Region. Der Hochmut des zeitgenössischen Pöbels ergoss sich in dem Sprichwort: „Wer Eindruck machen möchte, kaufe sich ein Pferd, wer Reichtum erwerben will, züchte Schweine.”
Aus Sicht des Adels kam es aber noch schlimmer. Vermutlich um das Jahr 1500 zogen Schweine zumindest im oberdeutschen Sprachraum in Spielkartendecks ein. Zierten die Rüsseltiere zunächst geringwertige Blätter, stieg die wildgewordene Schellensau zuerst in Bayern zum Daus auf und stand somit über dem König.
Der Glaube an das Schwein als Glücksbringer soll sich in der Folge so ausgewirkt haben, daß das Daus (As) mit der „Sau” zur überlegenen Karte wurde und den König stechen konnte, also zur höchstwertigen Karte avancierte.
Dannenberg, Hans-Dieter: Schwein haben. Historisches und Histörchen vom Schwein. Jena: Gustav Fischer Verlag 1990.
In Anbetracht des Umstandes, dass jeder Bundesbürger im Jahre 2019 rund 34 Kilogramm Schweinefleisch verzehrte, dürften die Eigner von Mastbetrieben auch heute noch zu den gesellschaftlichen Gewinnern zählen.
55 Millionen Schweine wurden 2019 in Deutschland geschlachtet, pro Tag fast 151 000.
Stocker, Anita: Der Deutschen liebstes Fleisch. In: test Nr. 7 (2020). S. 11.
Die Quintessenz des Ganzen ist, dass Schweine schon immer mit Wohlstand⁶ in Verbindung gebracht wurden. Wer am 31. Dezember ein Maskottchen mit Rüssel und Ringelschwänzchen anruft, der wünscht sich monetären Erfolg im neuen Jahr.
Dabei gibt es keine Regeln für die Beschaffenheit des Glücksbringers. Demzufolge wirkt ein Papierschwein genauso gut wie ein Marzipanferkel oder ein Porzellankeiler. Ein idealer Umstand für diejenigen, die während des Silvestereinkaufs nicht an die Mitnahme eines Geldvermehrers gedacht haben.
- Denn in diesem Fall können meine sechs Zentimeter großen Würfelschweine⁷ in die Bresche springen und einen möglichen Wohlstandsverlust verhindern.
- Ferner weisen die Klauen meiner Neujahrsmaskottchen eine architektonische Bogenform auf, wodurch die kastenförmigen Körper selbst während des Schnapsklopfens stabil stehen.
Hingegen die hängenden Ohren, runde Kulleraugen und ein Ringelschwänzchen kaschieren die funktionelle Basis und sorgen dafür, dass die Tischdekoration lieb anzusehen ist.
„Basteln fällt mir aber immer so schwer”, mag sich nun manch einer denken. Derartige Ängste sind in diesem Fall unbegründet, da meine Schweinchen lediglich aus einem klassischen Würfelnetz zusammengeklebt werden. Des Weiteren liefere ich im Folgenden neben diversen Schnittmustern zugleich eine bebilderte Aufbauanleitung, damit auch wirklich jeder zu seinem Glück kommt.
Das Würfelschwein
Bedauerlicherweise sind die Online-Händler heute nicht mehr in der Lage, bestellte Artikel in zwei oder drei Tagen auszuliefern. Gerade zwischen den Jahren ist es eigentlich unmöglich, zeitnah an Waren aus dem Internet zu gelangen. Dementsprechend habe ich beim Designen meines Schweins darauf geachtet, dass das nötige Bastelmaterial in lokalen Ramschläden wie dem TEDi erhältlich ist. Dabei kamen für meinen Glücksbringer ohnehin nur drei Werkstoffe zum Einsatz:
- Körper: Tonpapier in verschiedenen Farben (130 g/m²).
- Merkmale: Moosgummiplatten mit einer Stärke von zwei Millimetern.
- Glupscher: Wackelaugen mit beweglichen Pupillen und einem Umfang von drei Millimetern.
Des Weiteren nahm ich als Werkzeuge eine Schere, ein Hobbyskalpell, ein Falzbein, einen Flüssigkleber, einige Acrylfarben und meine PDF-Schablone zur Hilfe.
Hinweise zu den Vorlagen!
Das Verbunddokument enthält drei Vordruckseiten, mithilfe derer sich unterschiedlich große Würfelschweine basteln lassen. Für die Herstellung eines Glücksbringers ist immer nur ein DIN-A4-Bogen vonnöten.
Nachdem ich die sechs Schnittmuster von einer Schablonenseite ausgedruckt und freigestellt hatte, übertrug ich das modifizierte Würfelnetz zweimal auf Tonpapier. Gleich darauf schnitt ich die kreuzförmigen Elemente aus und begann damit, die spätere Außenseite des Schweinchens zu verzieren. Hierfür nahm ich meine Sizzix Big Shot Maschine sowie einige Acrylfarben zur Hilfe.
Als daraufhin alles getrocknet und schön anzusehen war, klebte ich die beiden Einzelteile symmetrisch aufeinander. Dann verwandelte ich das starre Zellstoffstück in einen beweglichen Bausatz, indem ich die gestrichelten Linien mit einem linealgeführten Falzbein nachzog.
Beim darauffolgenden Zusammenkleben des Würfelnetzes musste ich nur darauf achten, dass ich das Kästchen mit den drei Klebelaschen als Erstes aufstelle. An diesem Ankerstück machte ich dann den alleinstehenden Kopf des Kreuzes fest.
Nachdem ich daraufhin auch den eingekeilten Schweinefußbogen samt Anhang hochgeklappt und mit den umliegenden Wänden verklebt hatte, verschloss ich das ergänzte Hexaeder mit dem viereckigen Deckel, um das Kästchen mit charakterisierenden Eigenschaften verzieren zu können.
Versaute Dekoration
Zu guter Letzt nahm ich eine Moosgummiplatte zur Hand und stellte aus den bisher unbenutzten Schnittmustern die folgenden Bauteile her:
- 2x Herzförmige Ohren.
- 1x Unterlegscheibe für den Rüssel.
- 1x Ringelschwänzchen zum selber Drehen.
- 2x Innenverkleidungen für die brückenähnlichen Klauen.
Außerdem bastelte ich eine Steckdosennase aus Tonpapier, welche ich direkt auf die vorbereitete Schaumstoffscheibe klebte.
Bevor ich nun die wesenseigenen Merkmale an meinem Würfel anbrachte, pinselte ich den kompletten Schweinekörper mit einem matten Transparentlack ein, um eine wachsartige Oberfläche zu erhalten. Erst als die Versieglung nach circa fünf Minuten getrocknet war, stellte ich meinen Glücksbringer fertig, indem ich das Kästchen mit Wackelaugen und anderen Sinnesorganen ausstattete.
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¹El-Azzazi, Ibrahim: Darf man in Schweinfurt leben? youtube.com (12/2022).
²May, Claudia: Silvester. In: Deutsch perfekt Spezial Nr. 2 (2020). S. 121.
³Morris, Desmond: Glücksbringer. München: Wilhelm Heyne Verlag 2000.
⁴Vetter, Veronika Helga: Ostereier mit Naturstoffen färben - Basisrezept aus der Kunstwerkstatt. gws2.de (12/2022).
⁵Nonn, Ulrich: Gesundes Landleben oder harte Fron? Bäuerliches Leben im Mittelalter. In: Pax et Gaudium Nr. 17 (2004). S. 9.
⁶Stewart, Rachel: Schwein gehabt! Die Deutschen und das Glück. youtube.com (12/2022).
⁷Exakte Maße: Der Würfel besitzt einen Umfang von 60 x 60 Millimetern. Mit angebrachten Ohren und Füßen erreicht ein Papierschwein eine Höhe von 75 Millimetern.