Im 4. Jahrhundert¹ führten die Oberhäupter der Urkirche eine Fastenzeit ein, die von Aschermittwoch bis Karsamstag² andauerte. In diesen sechs Wochen bereiteten sich die frühen Christen auf das Auferstehungsfest vor, indem sie Buße taten und enthaltsam lebten. So durften an den Werktagen³ bis Ostern weder tierische Lebensmittel noch alkoholische Getränke verzehrt werden, wobei das Bier zum Flüssigbrot zählte. Insgesamt schränkte der religiöse Ritus die getauften Menschen zwischen Rom und Damaskus nicht sonderlich ein. Schließlich kamen Weine, Spirituosen und Fleischerzeugnisse bei der spätantiken Normalbevölkerung ohnehin nur selten auf den Tisch. Allerdings trauerten die Gläubigen um ihre Hühnereier, die vor allem für ärmere Familien wichtige Nährstofflieferanten waren. Erschwerend kam hinzu, dass die sensiblen Proteinbomben bei mediterranen Frühlingstemperaturen besonders schnell verdarben. Um die Haltbarkeit⁴ wenigstens etwas zu verlängern, landeten die gesammelten Ovale einmal in der Woche im Kochtopf. Zudem gaben die Frauen aus den Pfarrgemeinden zerkleinerte Brennnesselblätter, Kümmel, Maulbeeren oder Zwiebelschalen in den Sud. Denn an der Schalenfärbung ließ sich später erkennen, wann welche Eier gelegt wurden.
Also färbte man die Eier beim Kochen Woche für Woche mit einer anderen Farbe. So wusste man genau, welche Eier wie alt sind, und aß die alten zuerst.
Freitag, Karl: 25 Prozent aller Kinder glauben, dass an Ostern der Geburtstag des Osterhasen gefeiert wird: 100 Dinge, die Sie noch nicht über Ostern wussten. München: riva Verlag 2017.
Nachdem Otto der Große im Jahre 962 das Heilige Römische Reich geschmiedet⁵ hatte, etablierte sich in den Grenzen des heutigen Deutschlands allmählich das Lehnswesen. Dadurch waren die Bauern nicht mehr frei, sondern bekamen vom Klerus oder Adel eine Hufe verliehen. Als Gegenleistung musste die besitzlose Landbevölkerung sowohl am Martins- wie auch am Gründonnerstag⁶ einen Bodenzins abführen, der sich aus diversen Naturalien zusammensetzte. Und da die österlichen Fastengebote im Hochmittelalter weiter galten, machte es Sinn, einen Teil der Frühjahrspacht mit hart gesottenen Eiern zu bezahlen.
Es gab die Möglichkeit den Zins in Form von Eiern zu entrichten. Diese wurden damals schon als Ostereier bezeichnet.
Budde, Pit & Josephine Kronfli: Hano Hanoqitho. Frühling und Osterzeit hier und anderswo. Münster: Ökotopia Verlag 2005.
Mancherorts wurde das letzte Antlassei⁷ in einem Schock rot gefärbt. Die auffällige Koloration sollte versinnbildlichen, dass mit dieser Opfergabe die Semesterschuld beglichen war.
Der Schock meint fünf Dutzend, also sechzig Stück. Schock war eine gebräuchliche Einheit, in der die Grundherrschaft einst den „Eierzins” als Naturalleistung einforderte.
Kriechbaum, Reinhard: Scheller, Schleicher, Maibaumkraxler. Bräuche in Österreich: Fasching, Ostern, Frühling. Salzburg: Verlag Anton Pustet 2012.
Noch vor dem Zweiten Kreuzzug stellten die abendländischen Klöster eigene Roteier her, die das vergossene Blut⁸ von Jesus Christus symbolisieren sollten. Hierbei färbten Nonnen und Mönche ausschließlich Hühnereier, die am Gründonnerstag das Licht der Welt erblickten. Am Karsamstag erhielten die herausgeputzten Ovale dann noch eine Segnung, ehe die heiligen Leckerbissen beim Fastenbrechen verzehrt⁹ wurden.
Die Gründonnerstagseier, also die Eier, die an diesem Tag gelegt wurden, sollen besonders heilkräftig sein und wurden früher sorgfältig eingesammelt, aufgehoben und als Ostereier verwendet.
Schönfeldt, Sybil: Das große Ravensburger Buch der Feste & Bräuche. 9., überarbeitete Auflage. Ravensburg: Otto Maier Verlag 1993.
Etwas später konnten auch normalsterbliche Christen ihre erröteten Antlasseier in der Kirche weihen¹⁰ lassen. Vor allem die Pateneltern des Spätmittelalters nahmen diesen Service in Anspruch, da ihre Schützlinge am Ostersonntag nach glücksbringenden Ellipsoiden verlangten.
- War Rot für lange Zeit die primäre Farbe¹¹ der Karwocheneier, wurde es zu Beginn des 17. Jahrhunderts plötzlich bunt.
Zumindest in den Südwestgebieten des Heiligen Römischen Reiches stellten sowohl Bäuerinnen wie auch Handwerker gelbe, blaue, grüne und sogar schwarze Aufgüsse für die Schalenfärbung her.
Die älteste Notiz über bunt gefärbte Eier findet sich in den Aufzeichnungen eines Straßburger Handwerksmeisters aus dem Jahre 1625.
Pfleger, Alfred: Osterei und Ostergebäck im Elsass. e-periodica.ch (03/2021).
Die frühbarocken Tinkturen enthielten ausschließlich Naturstoffe wie Krappwurzel oder Spinat, weshalb die Lenzeier eine schwache und ungleichmäßige Tönung¹² besaßen. Erst als die Verbraucher in den 1890er-Jahren¹³ Zugang zu Anilinfarben hatten, verwandelten sich die Hinterlassenschaften des Osterhasen in kräftig leuchtende Marmorovale.
Die ersten Synthetikfarben basierten auf Steinkohlenteer und kamen auch zum Einsatz, als deutsche Bunteier in den 1950er-Jahren¹⁴ industriell hergestellt wurden. Doch diese Zeiten sind längst vorbei. Heutzutage bestehen alle Schalenkolorationsmittel aus diversen E-Stoffen, welche die Gesundheit des Menschen nicht¹⁵ beeinträchtigen.
Farben für Ostereier zum Selberfärben müssen gesetzlich für Lebensmittel zugelassen sein, weil durch die feinen Poren der Eier oder durch kleine Risse Farbe dringen kann.
Stellpflug, Jürgen: Ei love you. In: ÖKO-TEST Sonderheft Nr. J1601 (2016). S. 221.
Wer trotzdem auf Laborfarben verzichten möchte, der kann eigene Tinkturen produzieren, indem er bestimmte Gemüsesorten auskocht. Wie bereits erwähnt, erhält das Kalziumkarbonat bei dieser Methode aber lediglich eine blasse Tönung. Dementsprechend lassen sich mit althergebrachten Garten-Oma-Tipps keine konkurrenzfähigen Natureierfarben anrühren. Um künstlerisch anspruchsvolle Kolorationen hervorzubringen, ist schon ein wenig Alchemiewissen vonnöten, das ich in der folgenden Anleitung gerne mit meinen Lesern teile.
Natürliche Ostereier
Wasser ist ein Lösungsmittel: Es verdünnt Farbstoffe und verhindert, dass die Pigmente an der Schale haften. Dementsprechend kommen bei den beliebten Gemüsebrühen keine guten Ergebnisse zustande. Zudem ziehen die schwach kolorierten Eier häufig im Sud weiter, wodurch sie steinhart werden und ihre Dotter einen grünlichen Rand erhalten. Flüssigkeiten sind beim Färben also äußerst hinderlich, weshalb ich bei meinem Rezept sogar auf saftige Feldfrüchte verzichte. Stattdessen verwende ich Gewürzmischungen oder gemahlene Vegetabilen.
Für die Herstellung von klassischen Ostereiern ist Rote-Beete-Pulver am besten geeignet. Hingegen gelbe oder dunkelviolette Schalen lassen sich mit Kurkuma beziehungsweise mit zerstoßenen Holunderbeeren hervorrufen. Doch unabhängig des farbgebenden Staubes funktioniert das Anrühren meiner Glasur immer nach demselben Prinzip:
- Zuerst erhitze ich das Pigment zusammen mit Puderzucker in einem kleinen Topf.
- Noch bevor das Ganze zu karamellisieren beginnt, nehme ich das Kochgeschirr von der Herdplatte und lösche die körnige Mixtur mit etwas Leitungswasser ab.
Zu guter Letzt erzeuge ich eine glatte Sauce, indem ich die drei Komponenten mithilfe eines Schneebesens vermenge.
Gleich nachdem ich die Naturfarbe zusammengebraut habe, wälze ich zwei gekochte und geputzte¹⁶ Eier durch den warmen Zuckersaft. Sobald die Schalen der Ovale gleichmäßig grundiert sind, setze ich die duftenden Leckerbissen auf Schnapsgläser, damit ich die Koloration zusätzlich verstärken kann. Hierfür nehme ich einen Synthetikpinsel zur Hand, mit dem ich weiteren Guss auf meine Picknickeier auftrage.
Die Veredlung
Meine vollendeten Kunstwerke lasse ich abschließend zwei Stunden lang trocknen. Danach mache ich mir noch einen Trick der Lebensmittelindustrie zunutze. So setzen die Bunteierhersteller entweder Schellack oder Kopal ein, um den Glanz ihrer Produkte zu erhöhen.
Inge Rothermel: Kopal ist ein Baumharz und sorgt dafür, dass die Eier schön glänzen.
Liebharth, Christine: Eierfärberei Beham in Thannhausen. youtube.com (03/2021).
Nun möchte ich aber natürliche Ostereier erzeugen, weshalb ich keine harzhaltigen Substanzen aus dem Baumarkt zum Versiegeln verwende. Stattdessen tupfe ich die kolorierten Schalen mit einem Haushaltspapier ab, welches ich zuvor mit Rapsöl benetzt habe. Durch diese Veredlung erhalten meine Nesteinlagen nicht nur ein speckiges Antlitz, sondern gleichzeitig verlieren die Farbschichten ihre klebrige Oberfläche.
Bevor ich meine herausgeputzten Proteinbomben als essbare Dekoration einsetze, lasse ich die 50-Gramm-Ovale eine Nacht lang auf Schnapsgläsern oder in Eierbechern stehen. Dies ist wichtig, damit die flüchtigen Stoffe verfliegen können und später kein Ostergras an den gefärbten Schalen haftet.
Verwandte Themen:
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¹Garenfeld, Barbro: Frohe Ostern! Wissenswertes & Unterhaltsames rund ums Osterfest. Münster: Coppenrath Verlag 2002.
²Grupp, Alfred: Aschermittwoch - Passionszeit. medienwerkstatt-online.de (03/2021).
³Fischer, Anke: Feste und Bräuche in Deutschland. Fränkisch-Crumbach: EDITION XXL GmbH 2004.
⁴Bannasch, Saskia: Die schönsten Osterbräuche. Ostfildern: Jan Thorbecke Verlag 2016.
⁵Drotschmann, Mirko: 10. Jahrhundert - Otto I. - wie das Heilige Römische Reich entstand. youtube.com (03/2021).
⁶Gatzka, Martina: Jetzt feiern wir Ostern. In: Centaur. Ausgabe Nr. 3 (2018). S. 95.
⁷Schallenhofer, Wolfgang: Antlasstag. kirchenweb.at (03/2021).
⁸Strußenberg, Judith: Feste und Feiern im Mittelalter. In: Miroque Nr. 12 (2013). S. 32.
⁹Oetken, Bernd: Ostern und die Wurzeln des christlichen Glaubens. In: kiek an! Nr. 1 (2016). S. 9.
¹⁰Klecker, Hans: Ostern in der Oberlausitz: Gestern und heute. Zittau: Oberlausitzer Verlag 2016.
¹¹Fehrle, Eugen: Feste und Volksbräuche im Jahreslauf europäischer Völker. Kassel: Johann Philipp Hinnenthal Verlag 1955.
¹²Pötschke, Cornelia: Ostereier färben mit Naturmaterialien. youtube.com (03/2021).
¹³Kremin, Stefan & Helmut Kokenbrink: Geschichte. brauns-heitmann.de (03/2021).
¹⁴Rothermel, Markus: Eierfärberei Beham: Ostereier mit besonderer Qualität. youtube.com (03/2021).
¹⁵Gramer, Timo & Veronika Loepp: Ostereier für den Norden | Wie geht das? | NDR. youtube.com (03/2021).
¹⁶VCP Hessen: QA Kochstudio: Eier färben. youtube.com (03/2021).
Sima sagt:
Liebe Veronika, dein Experiment ist großes Kino! Färbemittel für Ostereier enthalten so viele gesundheitsgefährdende Stoffe! Die würde ich nie mit Kindern verwenden. Dein Rezept erscheint mir schlüssig, ich gehe gleich noch ins Reformhaus und kaufe die benötigten Zutaten. Vielen Dank und Frohe Ostern ...