Quilling ist eine filigrane Basteltechnik, bei der Papierstreifen mit einfachen Werkzeugen¹ zu Spiralen (englisch coils) aufgewickelt werden. Die außen verklebten Zellstoffschnecken lassen sich dann in 49² fest vorgegebene Figuren (englisch shapes) verwandeln, mit denen wiederum dreidimensionale Objekte gebaut oder verziert werden können. Quilling gehört somit zu den bildenden Künsten und wurde zu Beginn des 18. Jahrhunderts in England³ durch Damen populär, die der Bourgeoisie oder dem Adel angehörten.
Quilling was never practised by ‘working-class’ women in the past.
Whiteside, Anne: The history of Quilling. quilling-guild.weebly.com (03/2018).
Auslöser für das plötzliche Interesse an diesem alten Kunsthandwerk könnte der Spanische Erbfolgekrieg gewesen sein, in dem 120.000 englische Soldaten⁴ elf Jahre lang in Europa und Nordamerika vorwiegend gegen Frankreich kämpften. Zumindest erweckten die wohlhabenden Strohwitwen die christlich-italienische Dekorationstechnik genau zu der Zeit wieder zum Leben, als die meisten männlichen Bewohner Englands damit beschäftigt waren neue Kronkolonien für Königin Anne Stuart zu erobern.
Vor allem nutzten die hochgeborenen Frauenzimmer Quilling dazu, um ihr edles Mobiliar individuell dekorieren zu können. Auf diese Vorliebe reagierten die englischen Handwerker prompt, indem diese seinerzeit Einrichtungsgegenstände entwickelten, die über vertiefte Oberflächen verfügten.
Some items were specially designed for quilling with recessed surfaces.
Anonymous: History Of Paper Quilling. worldofquilling.weebly.com (03/2018).
Bis zum Tode von Königin Anne Stuart wurde das Aufwickeln von Papierspiralen in Großbritannien noch traditionell als paper filigree⁵ bezeichnet. Aufgrund der Tatsache, dass die dekadenten Hofdamen zum Herstellen ihrer Figuren feine Gänsefedern (englisch goose quills) verwendeten, änderte sich der Name der Kunsttechnik bald darauf in Quilling. Bereits im Jahre 1740⁶ schaffte die ulkige Wortschöpfung den Sprung in englischsprachige Wörterbücher.
Others believe it was called this simply because the coils were rolled over the end of a goose quill.
Rodehaver, Sherry: A Short Histoy of Quilling. naqg.org (PDF) (03/2018).
Heute ist Quilling keine reine Verzierungstechnik mehr. Vielmehr wird dieser anspruchsvolle Bastelstil mittlerweile dazu verwendet, um eigenständige Kunstwerke zu bauen, die oftmals sogar einen praktischen Nutzen haben. So ist es beispielsweise möglich, Handyhalter, Behälter für Tischabfälle oder Potpourrischalen ausschließlich aus Quilling-Figuren herzustellen. Aber auch farbenfrohe Ohrringe und Puppen⁷ können ohne Weiteres aus den aufgewickelten Papierschnecken angefertigt werden.
Quilling - Formen und Ausstattung
Die meisten der 49 offiziellen Quilling-Figuren sind sogenannte Coil Shapes, die alle auf einer aufgedrehten Papierspirale basieren. Auf der folgenden Illustration sehen Sie die acht gängigsten Formen, mit denen Sie so gut wie jedes Objekt nachbauen können.
Zum Anfertigen dieser Gebilde benötigen Sie mindestens einen Tonpapierbogen, eine Schere, etwas flüssigen Kleber und einen Quillingstab.
- Tipp: Obwohl ich viele Modellierwerkzeuge besitze, nutze ich zum Aufwickeln meiner Papierstreifen lediglich einen umfunktionierten Schaschlikspieß, der an der Spitze über eine kleine Spaltung verfügt.
Außerdem sollten Sie sich für jedes Projekt eine passende Kreisschablone aus Graupappe basteln, da Sie nur damit stets gleichgroße Figuren erhalten.
Eine Kreisschablone ist praktisch, um aufgerollte Papierstreifen auf den gewünschten Durchmesser aufspringen zu lassen.
Krämer, Patrick: Quilling für die Weihnachtszeit. Klassische und neue Techniken mit Papierstreifen. Stuttgart: frechverlag GmbH 2015.
Auch wenn Quilling für mich persönlich eher eine Hilfstechnik ist, möchte ich Ihnen in der folgenden Anleitung trotzdem zeigen, wie einfach Sie mit nur wenigen Papierfiguren ein für sich selbst stehendes Kunsterzeugnis erschaffen können. Dazu habe ich einen frühlingshaften Eierbecher entworfen, der ausschließlich aus der Basisfigur Tight Coil besteht.
Dieses smarte Essgeschirr habe ich bewusst gewählt, da es wie Quilling ebenfalls erst im 18. Jahrhundert durch das höfische Leben bekannt wurde. So war Ludwig XV. von Frankreich im Jahre 1727⁸ der erste europäische Monarch, der sein königliches Goldservice um einen Eierbecher ergänzte. Dabei begriff der französische Fürst schnell, wie er das neuartige Gefäß zu seinem Vorteil einsetzen konnte. Schließlich schmolz Madame de Pompadour jedes Mal dahin, wenn ihr Liebhaber ein gekochtes Frühstücksei im Becher mit nur einem Hieb köpfte.
In France, Louis XV promoted the use of eggcups by using them regularly during his meals. [...] Louis XV often entertained his courtiers by “beheading” the egg in his eggcup with one slice.
Cook, Alan: History of the Eggcup. replacements.com (03/2018).
Eierbecher aus Papier basteln
Zum Anfertigen eines alltagstauglichen Quilling-Eierbechers mit einer Höhe von 4,5 Zentimetern nahm ich mein Tonpapier und eine Schere zur Hand, sodass ich mir zunächst einmal folgende Papierstreifen zurechtschneiden konnte:
- 1x: 750 x 0,5 Zentimeter in Hellgrün (Eierbehälter).
- 1x: 350 x 0,5 Zentimeter in Hellgrün (Fuß).
- 1x: 150 x 0,5 Zentimeter in Dunkelgrün (Randabrundung).
- 1x: 150 x 0,5 Zentimeter in Dunkelgrün (Fußdekoration).
- 1x: 12 x 0,8 Zentimeter in Gelb (Verbindungsstück).
- 24x: 12 x 0,5 Zentimeter in Gelb (Randdekoration).
Hinweis: Meine farbigen Tonpapierbögen waren teilweise zu kurz, um daraus solche umfangreichen Streifen schneiden zu können. Aus diesem Grund teilte ich meine Papierbahnen in 50 Zentimeter große Stücke auf.
Zuallererst wollte ich die dickste Tight Coil Figur für den Eierbehälter anfertigen. Also nahm ich einen meiner 50 Zentimeter langen Papierstreifen zur Hand und fädelte diesen in die gespaltene Spitze eines Schaschlikspießes ein. Gleich danach wickelte ich diesen Abschnitt eng zu einer Schnecke auf.
- Kurz bevor ich das Ganze komplett auf meinen Quillingstab aufgedreht hatte, musste ich das Papierband verlängern. Dazu bestrich ich die letzten zwei Zentimeter der Spirale einfach mit flüssigem Kleber.
- Im Anschluss daran legte ich den Anfang des nächsten hellgrünen Papierstreifens auf die glibberige Stelle.
- Als der Kleber dann nach ungefähr einer Minute angetrocknet war, fuhr ich mit dem Aufrollen meiner Tight Coil Quilling-Figur fort.
Nach diesem Prinzip wickelte ich auch meine restlichen Papierstreifen auf, bis meine Spirale einen Durchmesser von vier Zentimetern hatte. Daraufhin verschloss ich die Basis meines Eierbehälters, indem ich das Ende des letzten Abschnitts außen an der Quilling-Figur festklebte. Ganz zum Schluss musste ich die fette Schnecke dann nur noch von meinem Spieß abziehen, um meinen ersten Tight Coil endgültig fertigzustellen.
Als Nächstes kümmerte ich mich um den Standfuß. Für dieses Einzelteil drehte ich eine etwas kleinere hellgrüne Tight Coil Figur, die am Ende über einen Durchmesser von 2,8 Zentimetern verfügte. Hingegen für die Randverzierung des Eierbechers stellte ich 24 gelbe Papierschneckchen her, deren Durchmesser lediglich 0,6 Zentimeter betrug.
Quilling-Figuren umformen und fixieren
Durch die vorangegangenen Arbeitsschritte hatte ich nun 26 Papierrollen vor mir liegen. Bevor ich aus diesen unscheinbaren Einzelteilen einen dreidimensionalen Eierbecher bauen konnte, musste ich zunächst einmal die Form von manchen Figuren verändern.
Also nahm ich als Erstes meinen größten Tight Coil in die Hand. Gleich darauf schob ich die einzelnen Schichten innerhalb meiner Quilling-Figur nur auf einer Kreishälfte sanft auseinander. Wichtig: Dabei arbeitete ich von außen nach innen.
- Als das Ganze dann ungefähr wie eine Stehplatzkurve in einem Fußballstadion aussah, zog ich auch die andere Seite so lange zurecht, bis ich am Ende ein gleichmäßiges Behältnis erschaffen hatte.
- Nach derselben Methode formte ich anschließend auch aus meiner zweiten hellgrünen Quilling-Figur ein Gefäß. Dieses Objekt konstruierte ich allerdings so, dass es tiefer als der zuvor angefertigte Eierbehälter war und somit eher einem Fingerhut glich.
Damit die beiden zurechtgezogenen Körbe dauerhaft ihre Form behalten, strich ich die Innenseiten der Behältnisse abschließend noch großzügig mit einem weißen Bastelkleber auf Wasserbasis ein. Daraufhin legte ich die Eierschale und den Standfuß erst einmal für zehn Minuten zum Trocknen.
Rollen veredeln den schwungvollen Eierbecher
Im nächsten Schritt verzierte ich mein Essgeschirr. Dazu drehte ich den ovalen Eierbehälter auf den Kopf, damit ich im Anschluss daran meine 24 gelben Tight Coil Figuren bequem um den äußeren Rand des Papiergefäßes kleben konnte.
Gleich danach stabilisierte ich die kleinen Dekorollen, indem ich diese straff mit einem 150 Zentimeter langen dunkelgrünen Papierstreifen umwickelte. Dabei hatte ich die Innenseite dieses Stützbandes zuvor komplett mit flüssigem Kleber bestrichen, sodass das Element am Ende nicht nur mit den Schneckchen, sondern auch mit sich selbst verklebt war.
Als Nächstes befestigte ich den Standfuß auf dem noch umgedrehten Eierbehälter.
- Daraufhin wickelte ich einen 12 Zentimeter langen Papierriemen um die Verbindungsstelle. Mit diesem gelben Band sorgte ich dafür, dass die obere Eierschale in Zukunft nicht so schnell von ihrem Fundament abfallen kann.
Ganz zum Schluss rundete ich mein frühlingshaftes Eierbecherdesign ab. Dazu packte ich den unteren Standfußrand mit meinem letzten 150 Zentimeter langen Papierstreifen ein. Genau wie bereits bei dem Stützband für die Dekoschneckchen, bestrich ich auch die Innenseite dieses Elements vor dem Aufwickeln mit flüssigem Kleber.
Deutsche Sammler lieben schöne Eierbecher
Wie zu Beginn erwähnt, war Quilling lange Zeit eine höfische Kunst. Aus diesem Grund wollte ich meinem Eierbecher nach Abschluss der Bastelarbeiten noch einen aristokratischen Glanz verleihen. Also sprühte ich mein Papiergeschirr von oben bis unten mit einem Fixativ ein. Durch den Acryllack brachte ich mein Kleinod nicht nur zum Schimmern.
Vielmehr habe ich mein Quilling-Motiv mithilfe des Firnisprodukts gleich für mehrere Hundert Jahre haltbar gemacht. Denn wer weiß, was solch ein Eierbecher einmal Wert ist? Schließlich sind die deutschen Sammler heute schon so verrückt und zahlen für einen europäischen Porzellaneierbecher aus dem 18. Jahrhundert bis zu 750,00 Euro. Und wenn so ein altes Näpfchen aus dem Fernen Osten kommt, dann legen Liebhaber dafür auch gerne einmal 1500,00 Euro auf den Tisch.
Das Objekt von Ching-tê Chên aus dem 18. Jahrhundert mit einem handgemalten Blumendekor hat einen aktuellen Wert von rund 1500 Euro.
Brückner, Michael: Wahre Werte: Historische Eierbecher bringen Tausende Euro ein. welt.de (03/2018).
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¹Vogelbacher, Margarete: Modern Quilling romantisch. Papierstreifen kunstvoll gedreht. Stuttgart: frechverlag GmbH 2005.
²Kattwinkel, Mary-Alice: North American Quilling Guild Official Shape Chart. naqg.org (PDF) (03/2018).
³Lady Rain: Paper Quilling: Basic Techniques, Shapes and Designs. feltmagnet.com (03/2018).
⁴Maurer, Michael: Kleine Geschichte Englands. Aktualisierte und erweiterte Ausgabe. Stuttgart: Phillip Reclam jun. GmbH & Co. KG 2007.
⁵Tjong, Susan: The History of Quilling. susanquilling.blogspot.de (03/2018).
⁶Collins Dictionary: Definition of „Quilling”. collinsdictionary.com (03/2018).
⁷AV Visuals: 3D Quilling Doll Designs. youtube.com (03/2018).
⁸Springer, Tobias: Für Mahlzeiten mit gekochtem Ei. gnm.de (PDF) (03/2018).
Lady Lenora sagt:
Hi Vroni! Ich bin hobbymäßige Quilling Künstlerin und möchte mich bei dir für die vielen Infos bedanken 🙂 Zwei Fragen:
1.) Ich habe mehrmals im Jahr einen Stand auf unserem Künstlermarkt, in dem ich meine Quilling Puppen verkaufe. Darf ich dort deine Grafik mit den „Quilling Coil Shapes” zeigen? Manchmal interessieren sich die Leute nämlich näher zu dem Thema und da brauche ich immer viel Material.
2.) Machst du dieses Jahr noch ein neues Ostermotiv? Meine Tochter möchte mit mir in den Osterferien basteln. Sie hat dich übrigens vor zwei Jahren oder so auf YouTube entdeckt und von dir schon die Minon Einladungskarten nachgebastelt.
Eine frohe Osterzeit wünsche ich dir und allen Lesern.
Helpdesk sagt:
Hallo Lenora, ja du darfst die Grafik auf dem Künstlermarkt verwenden - überhaupt kein Problem. Wenn du das Bild auch auf deinem Blog oder bei Facebook einbetten möchtest, dann lies dich bitte hier kurz ein. Vroni hat für dieses Jahr noch ein Ostermotiv in der Pipeline, welches aber erst in der Woche nach den Osterfeiertagen fertig wird. Liebe Grüße und dir und deiner Kleinen auch ein frohes Osterfest, DaniMi.
Jana Ringat sagt:
Liebe Veronika ich danke Ihnen herzlich dafür, dass Sie den Menschen das Quilling näher bringen. Ich arbeite in einem Seniorenheim in Hungen und dort bastle ich häufig mit Demenzpatienten. Eine filigrane Beschäftigungstherapie hilft dabei, Depression zu lindern und aufgestaute Aggressionen abzubauen. Ich nutze Ihre Liste mit den Quilling Figuren, um neue Motive zu entwickeln, die die Senioren nachmachen können. Alles Liebe und viele Grüße ins Bayernland - ich komme ursprünglich aus Weißenburg.