„Junge Menschen sind immer mehr überfordert im Leben“, behauptet der charismatische Psychologie-YouTuber Varnan Chandreswaran¹ in einem seiner Videos. Tatsächlich scheiterte im Jahr 2024 rund die Hälfte² der deutschen Fahrschüler bei der theoretischen Führerscheinprüfung im ersten Anlauf. Gleichzeitig erreicht jedoch eine wachsende Zahl von Midzwanzigern einen akademischen Grad. Wie passt das zusammen? Die Autorin Svenja Hofert³ argumentiert, dass jüngere Generationen Wissen nicht mehr aus Interesse erwerben, sondern „weil es vorgegeben ist und sie im Studium im Grunde nichts anderes machen, als die Schule weiterzuführen.“ Schulisches Lernen folgt dem Prinzip des vertikalen Denkens. Wer jedoch vom Kindergarten bis ins Erwachsenenalter stets in derselben behüteten Umgebung ausschließlich linear und analytisch an Lösungen herangeführt wird, endet als Opfer von Strukturen, die er selbst nicht hinterfragt - ein moderner Woyzeck. Sogar in diesem Blog kritisieren BWL-Bachelor-Absolventen ihr geringes Gehalt⁴ - obwohl ihre Aufgaben früher typisch für eine Bürokauffrau waren. Eines steht fest: Seit jeher hängt wirtschaftlicher Erfolg von Resilienz und lateralem Denken ab.
Wenn ich mit meinen Kindern mit dem Fahrrad zum Kindergarten fahre, kommen mir reihenweise SUVs entgegen - auf dem Beifahrersitz zumeist ein Jugendlicher, der zur Schule kutschiert wird. Mein jüngster Schwager wurde bislang ebenfalls jeden Meter gefahren. Er kennt in seiner eigenen Heimatstadt keinen einzigen Platz, weil er die Stadt nie selbstständig mit dem Fahrrad oder der Tram erkunden durfte.
- Die Generation X hat ihren Nachwuchs durch Überbehütung⁵ derart vernachlässigt, dass dieser beim geringsten Widerstand die Flinte ins Korn wirft.
Im Folgenden soll es jedoch um laterales Denken gehen - im Volksmund eher als kreatives oder schöpferisches Denken bekannt -, dessen Vermittlung nicht zwangsläufig von den Eltern abhängt.
Jeder Mensch ist von Natur aus kreativ - sonst würden wir heute noch auf den Bäumen hocken und Bananen pellen. In einer chaotischen Welt war es schon immer überlebenswichtig, unklare Probleme mit unkonventionellen Methoden zu lösen.
Die US-Amerikaner haben das bereits in den 1950er-Jahren begriffen und rund um den Psychologen Joy Paul Guilford⁶ ein Kreativitätsforschungszentrum gegründet. Wenig später wurde das Bildungssystem reformiert und es war plötzlich völlig normal, wenn der kleine John Doe Schauspieler, Astronaut, Musiker oder Clown werden wollte. Billie Eilish zum Beispiel wollte eigentlich Balletttänzerin werden, war aber zu moppelig. Also setzte sie sich mit ihrem Bruder ins Kinderzimmer und produzierte mal eben ein Hitalbum. Für ihre Mutter⁷ übrigens nichts Besonderes - kreative Selbstverwirklichung gehört dort einfach zum guten Ton.
- Da wundert es wenig, dass seit den 1980ern gefühlt jede große Innovation aus den USA kommt.
Und wir? Wir feiern in Deutschland Alex „Spezi-Metzger“ Richter⁸ - einen total sympathischen TikTok-Star, der allerdings weniger durch laterales Denken glänzt, sondern schlicht das Glück hatte, Papas Metzgerei übernehmen zu dürfen.
Bereits Anfang der 1970er-Jahre forderte der Bildungsforscher Dieter Mertens, junge Menschen zukunftsfähig zu machen, indem man ihnen Schlüsselqualifikationen wie logisches, kritisches und kreatives Denken vermittelt.
- Bis heute jedoch dominieren in deutschen Bildungseinrichtungen Fachinhalte, die durch den technologischen Wandel schnell an Bedeutung verlieren.
Seit der vollständigen Umsetzung der Bologna-Reform 2010 werden selbst an Hochschulen bis zum Bachelor-Abschluss kaum Lern- und Problemlösestrategien vermittelt. Viele Jungakademiker verlassen nach Jahren in Kita, Schule und Universität das Bildungssystem, ohne eigenständig Lösungen für komplexe Situationen entwickeln zu können.
Dieter Mertens starb noch vor der Wiedervereinigung - und würde heute wohl genauso fassungslos auf das Bildungsdesaster in Deutschland blicken wie ich. Denn längst ist erwiesen, dass kreatives Arbeiten sowohl laterales Denken als auch Resilienz⁹ stärkt. Trotzdem erreichen mich seit Jahren dieselben Hilferufe aus den Kitas: Kein Personal, keine Zeit für Kreativität - kannst du helfen?
Unsere Kita arbeitet nach einem offenen Konzept und verfügt unter anderem über einen Kreativraum, in dem verschiedene Bastelmaterialien bereitliegen. Laut unseres Bildungsplans sollen insbesondere die Drei- bis Vierjährigen unter Anleitung kreativ tätig werden, um grundlegende Fertigkeiten zu erlernen und ihre schöpferische Ausdrucksfähigkeit zu entwickeln. Leider kommt es jede Woche zu mindestens zwei Personalausfällen, und Unterstützung durch Springer erhalten wir nur selten. Unsere jungen Praktikantinnen tun sich zudem oft schwer mit den vorhandenen Bastelbüchern und Schablonen, sodass der Kreativbereich häufig geschlossen bleibt. Deshalb wären wir sehr dankbar für einfache Bastelvorlagen oder Motive, die sowohl von den Kindern selbstständig als auch unter Anleitung umgesetzt werden können. Oft würde es schon reichen, wenn die Kinder vorgefertigte Elemente wie ausgeschnittene Formen bekleben oder verzieren dürften, evtl. mit Klebesteinen, Federn oder anderen Materialien.
Voigtmann-Schulze, Melanie: Einfache Bastelmotive dringend benötigt. E-Mail vom 29.01.2025.
Basteln schult zudem die Feinmotorik¹⁰ und fördert Geduld und Konzentration, das weiß jeder. Allerdings ließen sich diese Fähigkeiten auch durch sportliche Aktivitäten oder Geschicklichkeitsspiele trainieren. Doch dass kreatives Arbeiten elementar für die Entwicklung der Fantasie und Problemlösungsfähigkeit ist, wissen meist nur Pädagogen.
Das bedeutet, dass Kinder einerseits durch kreative Prozesse Resilienz entwickeln können, andererseits aber auch durch Herausforderungen kreative Kompetenz entwickeln können, wenn sie Unterstützung darin erfahren, eigene Problemlösungsmöglichkeiten zu suchen, zu finden und anzuwenden.
Braun, Daniela: Kreativität in Theorie und Praxis. Übergreifende Bildungsförderung in Kita und Kindergarten. Freiburg im Breisgau: Verlag Herder 2014.
Aber warum fallen bei Personalengpässen in Kitas immer zuerst die Kunst- und Bastelstunden aus? Wenn Psychologen wie Varnan Chandreswaran den Digital Natives die Fähigkeit zum selbstbestimmten Leben absprechen, dann liegt eine der Ursachen in diesem Sachverhalt.
Schmetterling basteln
Frau Voigtmann-Schulze folgt einem gängigen kunstpädagogischen Ansatz: Schablonen und Anleitungen dienen den Kindern als Bezugspunkt¹¹, den sie jedoch frei abwandeln und individuell verzieren dürfen. Doch was eignet sich als einfaches Motiv für eine Kita? Ich entschied mich für einen Schmetterling - ein bekanntes und beliebtes Symbol, das durch seine großen Flügel viel Raum für kreative Gestaltung bietet. Als Grundmaterialien wählte ich Tonpapier mit einer Grammatur von 220 g/m² sowie Moosgummi mit einer Stärke von zwei Millimetern. Für die Verzierungen kamen Chenilledraht, Glitzersteine, Wackelaugen und meine Sizzix Big Shot zum Einsatz.
Auf der PDF-Schablone befinden sich vier dekorative Flügelelemente, die idealerweise aus Tonpapier gefertigt werden. Sie bieten kreativen Gestaltungsspielraum: Ich habe zum Beispiel ein frühlingshaftes Blumenmuster in die Einzelteile geprägt und es anschließend mit Acrylfarben akzentuiert.
Die Vorlagen für Kopf, Körper und die große Flügelsilhouette übertrug ich auf zwei Zentimeter starken Moosgummi und schnitt sie anschließend aus. Direkt danach hob ich die farbigen Himmelssegel hervor, indem ich die vier zuvor verzierten Flügelelemente aufklebte. Zusätzlich brachte ich noch einige Acryl-Edelsteine von Baker Ross an, um dem Schmetterling funkelnde Akzente zu verleihen.
Im nächsten Schritt fand der raupenförmige Körper seinen Platz auf dem Untergrund - sanft angedrückt wie ein kleiner Frühlingsbesucher, der sich niederlässt. Am oberen Ende setzte ich den kreisrunden Kopf an, der nun neugierig in die Welt blickt. Zwei fröhlich klimpernde Wackelaugen hauchten dem kleinen Wesen Leben ein. Hinter dem Gesicht schlüpften zwei zarte Fühler aus Chenilledraht hervor - wie fein geschwungene Antennen. Tipp: Damit die flauschigen Pfeifenputzer besser halten, schnitt ich einen zweiten Kopfkreis aus und klebte ihn hinter den ersten, ganz wie bei einem liebevoll belegten Bastel-Sandwich.
Mein fünfjähriger Sohn war so begeistert von der Schmetterlingsidee, dass er sie stolz mit in seine Kirchengruppe nahm. Die farbenfrohen Falter waren dort ein voller Erfolg - kein Wunder, denn als Bastelmotiv zum Osterfest sind sie wie geschaffen: Der wundersame Wandel von der flugunfähigen Raupe zum schillernden Flattermann steht sinnbildlich für die Wiedergeburt Christi.
Die Kirchenväter haben daher den Schmetterling als Symbol für die Verwandlung vom Tod zum Leben genommen. Basilius der Große (330 bis 379) vergleicht den Schmetterling mit der Auferstehung Jesu und versucht so zweifelnden Christen in Cäsarea dieses Phänomen zu erklären.
Eberhard, Josef: Ostern - Fest der Verwandlung. pallottiner.org (04/2025).
Die Gemeindereferentin war entzückt darüber, wie selbstständig die Kinder das kleine Frühlingswunder zum Leben erwecken konnten. Fast alle bastelten ihren Schmetterling ganz ohne Hilfe - mit leuchtenden Augen und flinken Fingern. Und wie auf dem Bild zu sehen ist, konnte es beim Verzieren gar nicht genug glitzern: Die funkelnden Acrylsteine fanden zahlreich ihren Weg auf jedes Flügelpaar.
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¹Chandreswaran, Varnan: Warum Gen Z so unglücklich ist. youtube.com (04/2025).
²Festl, Florian: Neue Zahlen des TÜV: Psychologe erklärt, warum junge Menschen „zu blöd zum Autofahren“ sind. focus.de (04/2025).
³Hofert, Svenja: Akademiker, die eigentlich keine sind und Bachelors, die nichts taugen. svenja-hofert.de (04/2025).
⁴25_T!m: Vordruck Schuldschein - von Freunden und der Familie Geld leihen gws2.de (04/2025).
⁵Kühn, Christian: Kinder der Generation Alpha: „Überbehütung hat ähnliche Folgen wie Vernachlässigung“. deutschlandfunkkultur.de (04/2025).
⁶Graham, Wallas: J.P. Guilford: Kreativität und Messung von Kreativität – die Ursprünge der modernen Kreativitätsforschung. innovators-guide.ch (04/2025).
⁷The Late Late Show with James Corden: Billie Eilish Carpool Karaoke. youtube.com (04/2025).
⁸Schmidtke, Guido: Innovation & Erfolg vom Fleischermeister mit den 250.000 Followern | Die Nordreportage | NDR. youtube.com (04/2025).
⁹Braun, Daniela: Kreativität in Theorie und Praxis. Übergreifende Bildungsförderung in Kita und Kindergarten. Freiburg im Breisgau: Verlag Herder 2014.
¹⁰Landwermann, Janine: Kinder mit Bastelprojekten fördern. betzold.de (04/2025).
¹¹Huber, Johanna: Phänomen Basteln. Kindliche Ausdrucksform und anthropologische Konstante. Dissertation. PH Karlsruhe 2020. S. 98.