Im Jahre 1149¹ kehrte Stauferkönig Konrad III. mit seinem dezimierten Heer desillusioniert aus dem Morgenland zurück. Rund 20.000 deutsche Kreuzfahrer² hatten in den vergangenen 24 Monaten in der Levante ihr Leben gelassen. Für das Massensterben waren vor allem seldschukische Kavalleristen verantwortlich, die seinerzeit mit Osmanischen Reiterbögen kämpften. Mit sarazenischem Geschick schossen die orientalischen Elitekämpfer bevorzugt in die Gesichter der Christen, da die europäischen Eisenhauben noch keine Visiere besaßen. Um die Heilige Stätte weiterhin gegen die Muslime verteidigen zu können, musste diese Schwachstelle umgehend behoben werden. Aus diesem Grund entwickelten die Rüstungsschmiede des Regnum Teutonicum nach der gescheiterten Kleinasienreise neuartige Vollhelme.
Neu entwickelte Helmformen umschließen ab der Mitte des 12. Jahrhunderts den Kopf des Kriegers.
Samlowsky, Claus: Heraldik. Die Sprache der Wappen. In: Pax et Gaudium Nr. 12 (2003). S. 40.
Mit der zylindrischen Blechdose auf dem Scheitel sahen die abendländischen Ritter plötzlich alle gleich aus. Das wäre nicht weiter schlimm gewesen, wenn die christlichen Soldaten ausschließlich gegen islamische Turbanträger gekämpft hätten. Doch auch hierzulande rollten im Hochmittelalter die Köpfe. Denn obwohl die deutschen Monarchen im Heiligen Römischen Reich vereint waren, wollten die weltlichen und geistlichen Fürsten gerne ihre Territorien erweitern, weshalb es ständig zu Erbfolgekriegen kam. Bei diesen Streitigkeiten schickten die Anspruchsinhaber ihre blaublütigen Lanzenbrecher auf ein Schlachtfeld. Dort versuchten die berittenen Landadligen einen Sieg für ihren Lehnsherrn zu erringen.
Doch wer gehörte zu wem? Durch die Topfhelme war es unmöglich geworden, einen Kontrahenten von einem Waffenbruder zu unterscheiden.
Unmöglich wird aber auch der Zuruf während der Schlacht, das bis zu diesem Zeitpunkt angewandte Verständigungs- und Erkennungszeichen der Kämpfenden untereinander.
Leonhard, Walter: Das grosse Buch der Wappenkunst. Augsburg: Bechtermünz Verlag 2001.
Damit die Ritter während eines Gefechts nicht aus Versehen ihre Kameraden erschlugen, ließen die findigen Panzerreiter einfache Symbole auf ihre Dreiecksschilde³ malen. Diese Aufgabe übernahmen Kunsthandwerker, die der Volksmund als Schilter⁴ bezeichnete. Dabei musste das ikonische Stigma laut Schlachtordnung mindestens so groß sein, dass es aus einer Entfernung von 200 Metern zu erkennen war.
Bei der Wahrnehmbarkeit ging man damals von einer Distanz von 200 Schritt aus. Als Fläche zur Anbringung des Symbols bot sich der Schild des Ritters an, auf den nun sogenannte Schildfiguren aufgetragen wurden.
Bahn, Peter: Familienforschung und Wappenkunde. Niedernhausen: Bassermann Verlag 1998.
Und wie sagte schon Goethe: „Jede Lösung eines Problems ist ein neues Problem.” Noch vor dem Dritten Kreuzzug besaßen alle abendländischen Krieger individuelle Wappen, die persönliche Identifizierungszeichen⁵ waren und vorerst nicht vererbt wurden. Doch was nützten die schicken Schildtattoos, wenn in einer 300 Mann starken Kavallerieeinheit jeder Mitstreiter ein anderes Symbol führte. Ein innereuropäisches Gemetzel konnte also nur dann stattfinden, wenn Herolde als Schiedsrichter fungierten.
Zum ersten Mal ist die Anwesenheit eines Herolds bei einem Gefecht im Juli 1173 nachgewiesen.
Neubecker, Ottfried: Wappenkunde. Gütersloh: Orbis Verlag 2002.
Standeslose Wappenkenner
Ende des 12. Jahrhunderts gab es fahrende Sänger, die wie Gaukler durch das feudale Deutschland zogen. Auf Wunsch fertigten die reisenden Schreiber französischsprachige Loblieder für den örtlichen Adel an. Durch diese Tätigkeit erhielten die hochmittelalterlichen Klatschkolumnisten tiefe Einblicke in das höfische Leben. Aufgrund dessen, dass sie die aristokratischen Netzwerke durchblickten, wurden die freiberuflichen Schöngeister auch auf Kriegsschauplätzen eingesetzt. Dort mussten die unparteiischen Verkehrspolizisten den maskierten Rittern während des Kampfes zeigen, wer Freund und wer Feind war. Etwas später gehörten die Wappenkenner fest zum Gefolge von einflussreichen Feldherren. In ihrer Funktion als Herold identifizierten sie gefallene Krieger und hielten den Schlachtverlauf in Ereignisprotokollen fest.
Unbewaffnet bewegten sie sich im Getümmel der Schlacht wie der Schiedsrichter auf dem Fußballfeld, [...] beobachteten die Tapferen und die Feigen, schrieben auf, wer auf dem Schlachtfeld gefallen war.
Schroeder, Michael: Kleine Wappenkunst. Frankfurt am Main: Insel Verlag 1990.
Darüber hinaus dienten die Armeechronisten als Unterhändler. Mit einem Tappert bekleidet, auf dem das Wappen ihres Ernährers gestickt war, durften die Herolde das gegnerische Quartier betreten und Friedensgespräche führen. Des Weiteren tauschten die dekorierten Diplomaten an jedem Abend mit ihren verfeindeten Amtsgenossen diverse Listen mit gefallenen Rittern aus, um einen Tagessieger festzulegen.
Im Verlauf des 14. Jahrhunderts⁶ verschwanden die Panzerreiter allmählich von den europäischen Schlachtfeldern. Gegen moderne Fernwaffen und gegen schwere Infanterie konnten die behäbigen Streitrossjockeys nichts mehr ausrichten. Aus diesem Grund heuerten die spätmittelalterlichen Fürsten selbstorganisierte Söldnerheere an, wenn sie einen Konflikt austragen mussten.
Die Schilde der gemeinen Soldaten hatten zudem oft kein Wappen. So kam es, daß die Wappen ihre ursprüngliche Funktion als Erkennungszeichen auf dem Schlachtfeld wieder einbüßten. Dort gewannen nun Fahnen und Standarten [...] an Bedeutung.
Bahn, Peter: Familienforschung und Wappenkunde. Niedernhausen: Bassermann Verlag 1998.
Das antiquierte Rittertum trug bis zum Barockzeitalter nur noch zur Belustigung der Oberschicht bei. Dazu veranstalteten Kaiser, Herzöge und Turniergesellschaften regelmäßig Wettbewerbe, bei denen sich berühmte Lanzenreiter gegenseitig aus dem Sattel stießen. Wer an einem höfischen Welschgestech⁷ teilnehmen wollte, der musste jedoch einen großen Adelsnachweis vorzeigen können.
Die Turnierheraldik
Bevor die Schaukämpfe begannen, fand eine obligatorische Wappenprobe statt. Bei dieser Gelegenheit überprüften die örtlichen Herolde, ob die geharnischten Spießgesellen von acht blaublütige Ahnen⁸ abstammten. Des Weiteren mussten auch die Ehefrauen zu einem Adelsgeschlecht gehören. Ein erfahrener Gutachter konnte bereits am Schildbild ablesen, inwieweit ein Aspirant die Zulassungsvoraussetzungen erfüllte. Darüber hinaus führten die Sachverständigen aussagekräftige Turnierbücher, in denen bekannte Familienzeichen aufgemalt und blasoniert waren. Neben der Herkunftskontrolle achteten die Meisterpersevanten zudem darauf, dass die ritterlichen Embleme nicht gegen die heraldischen Regeln⁹ verstießen. Außerdem durfte ein Wettstreiter nur dann zum Lanzenstechen antreten, wenn sein Outfit zum eigenen Wappen passte.
Das auf dem Schild des Ritters angebrachte Wappen wiederholte sich auf dem kursit, dem Waffenrock. [...] Eine ähnliche Funktion erfüllte die couverture, die Rossdecke, die man dem Turnierpferd überlegte.
Beckers-Dohlen, Claudia: Wappen im Mittelalter. Der Schild als Wappenträger. In: Karfunkel Nr. 113 (2014). S. 35.
Obwohl sie Normalsterbliche ohne Stand waren, besaßen Turnierherolde die sogenannte Banngewalt. Durch diese Befugnis konnten die mittelalterlichen TÜV-Prüfer sowohl gräfliche Wappendiebe als auch renitente Selbstdarsteller vom Tjostieren ausschließen.
Während der Renaissance begann der Zerfall der deutschen Ritter- und Turniergesellschaften. Viele Anhänger des gehrenden Wesens stiegen daraufhin zum Zeremonienmeister auf. Hingegen besonders gebildete Herolde wurden zum Wappenkönig erhoben. Im Auftrag ihres Dienstherrn besuchten diese hochrangigen Diplomaten europäische Fürstenhöfe, damit sie die dortigen Sitten und Adelszeichen studieren konnten.
Der Kaiser beauftragte ihn in den verschiedenen Ländern die Sitten der Höfe, die fortia gesta der dortigen Adeligen und deren Wappen zu erkunden und aufzuzeichnen.
Scheibelreiter, Georg: Wappen im Mittelalter. Darmstadt: Primus Verlag 2014.
Witzigerweise mussten die reisenden Historiographen den Namen ihres Herkunftslandes annehmen, weshalb der kaiserliche Oberherold beispielsweise „Romreich„¹⁰ hieß. Auch der bajuwarische „Bairland” bereicherte die abendländischen Herrscherresidenzen mit seinem heraldischen Wissen.
Kein Privileg des Adels
Bereits im Jahre 1275¹¹ begannen in Deutschland bürgerliche Dynastien damit ein Wappen zu führen. Die erblichen Schildbilder gingen aus Hausmarken hervor, die von den schreibunkundigen Familienoberhäuptern als Unterschriftssymbole verwendet wurden.
Durch Aufnahme in einen Schild und entsprechende heraldische Farbgebung werden die Hausmarken zu echten Wappenfiguren.
Staatskanzlei Obwalden: Ursprung der Heraldik. ow.ch (PDF) (01/2020).
Die Fürsten störte es nicht, dass auch das Volk identitätsstiftende Zeichen beanspruchte. Damit keine Dubletten entstanden, konnten die freien Bürger ihre Familiensymbole in den pfalzgräflichen Kanzleien hinterlegen. Hingegen die deutschen Bauern mussten in der Regel ohne eigenes Emblem auskommen, da diese zumeist einem Lehensherrn verpflichtet waren. Um sich vom Pöbel abzugrenzen, ließen viele Adelshäuser im Spätmittelalter ihr Logo prunkvoller gestalten. So verwendeten die Blaublüter nicht mehr den Stech-, sondern den Spangenhelm als Schildkrone. Des Weiteren zierten plötzlich Wahlsprüche, Orden und anderer Schnickschnack die aristokratischen Insignien. Die schmuckvollen Ornamente hatten jedoch lediglich eine dekorative Funktion. Für die Heraldik spielte auch weiterhin nur das Wappenbild eine Rolle.
Schildhalter gehören gemäß den heraldischen Regeln zu den Pracht- oder Prunkstücken eines Wappens. [...] Sie dienten lediglich als Dekoration und konnten jederzeit entfallen. Sie waren auch nicht erblich.
Reinschmidt, Günter: Heraldik. jungschar.biz (PDF) (01/2020).
Die moderne Heraldik
Heute sind etwas mehr als 1,5 Millionen¹² europäische Familienwappen bekannt. Die relativ geringe Dynastiezeichenanzahl liegt zum einen an den großen Kriegen des 20. Jahrhunderts, in denen viel geschichtliches Erbe zerstört wurde. Zum anderen haben die genuss- und konsumfixierten Baby-Boomer¹³ die Genealogie stark vernachlässigt.
- Strafmildern sollte sich jedoch der Umstand auswirken, dass es in der Bonner Republik nach der Entnazifizierung verpönt war, Ahnen- und Heimatpflege zu betreiben. Und in der DDR lebten bekanntlich ohnehin nur wurzellose Brüder und Schwestern.
Doch Patrona Bavariae sei Dank sind die deutschen Millennials selbstbewusster als ihre Eltern, weshalb die Heraldik eine Renaissance erfährt. So trägt alleine der Münchner Wappen-Herold e. V. jährlich über einhundert neu gestiftete Schilde in sein Wappenregister¹⁴ ein, was meiner Meinung nach eine tolle Sache ist.
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¹Aschenbrenner, Cord: Den Himmel mit Gewalt erobern. In: SPIEGEL GESCHICHTE Nr. 5 (2018). S. 75.
²Milger, Peter: Tötet sie oder bekehrt sie: Krieg im Namen Gottes. youtube.com (01/2020).
³Vieweg, Olaf: Heraldik. In: Karfunkel Nr. 3 (1993). S. 40.
⁴Eschenbach, Wolfram von: Parzival. Das Lied vom Parzival und vom Gral. Reprintauflage der Originalausgabe von 1888. Leipzig: Reprint-Verlag 2006.
⁵Brooks, Shad M.: What is a Coat of Arms? youtube.com (01/2020).
⁶Samlowsky, Claus: Heraldik. Die Sprache der Wappen. In: Pax et Gaudium Nr. 12 (2003). S. 40.
⁷Gräser, Lothar: Sport und Spiele im Mittelalter. In: Pax et Gaudium Nr. 4 (2001). S. 22.
⁸Schroeder, Michael: Kleine Wappenkunst. Frankfurt am Main: Insel Verlag 1990.
⁹Janka, Andreas: Tingierung. heraldik-wiki.de (01/2020).
¹⁰Scheibelreiter, Georg: Wappen im Mittelalter. Darmstadt: Primus Verlag 2014.
¹¹Leonhard, Walter: Das grosse Buch der Wappenkunst. Augsburg: Bechtermünz Verlag 2001.
¹²Müller-Bauseneik, Jens: Heraldik - Familienwappen: Symbole für die Ewigkeit. pro-heraldica.de (PDF) (01/2020).
¹³Aduno Gruppe: Die BabyBoomer. startup50plus.de (PDF) (01/2020).
¹⁴Kurzmeier, Alois: Wappenrolle. online-wappenrolle.de (01/2020).
Waldemar sagt:
Hut ab! Seit 43 Jahren bin ich als Familienforscher tätig und durch Zufall auf diese Seite gestoßen. Text und Ausmalblätter sind zwar verspielt, dennoch korrekt. Oder kommen der bisherigen Erkenntnis ziemlich nahe. Schönes Quellenregister. Es gefällt mir sehr, daß sich junge Menschen wieder für die Genealogie und Wappenkunde interessieren. Alles Gute wünscht Waldemar.
StR. Lösch (Greiz) sagt:
Nun weiß ich nicht, weshalb Sie Ihre tollen Werke kostenlos anbieten, mir soll es jedoch recht sein. Schöne Unterrichtsmaterialien für Geschichte und Sozialkunde. Übrigens sind Sie im digitalen Sektor ein Vorbild in Sachen wie Medienmix und Quellenindexierung. Machen Sie weiter so, es grüßt ein Lehrer aus Thüringen.
Jagdwelpe_61 sagt:
Tip top! Respekt, dass Du dich an ein solches Thema ran wagst. Gerade die Ausmalseite mit den beiden Herolden erzählt eine schöne Geschichte. Ich schreibe im Internet sonst keine Kommentare, will aber hiermit Deine Leistung würdigen. Horrido
Veit Schüppel sagt:
Guten Abend: Nun bedanke ich mich erst einmal für den lehrreichen Text. Meine Frau und ich überlegen uns gerade, ob wir ein Familienwappen stiften sollen. Dass das alles verloren ging, hängt übrigens nicht nur mit den beiden Weltkriegen zusammen. Die Zersiedlung der Familien im 19. Jahrhundert spielt da auch eine Rolle. Stichwort: Industrialisierung.
Mein Interesse an der Heraldik erwachte übrigens mit dem Film „Ritter aus Leidenschaft”. Deshalb gefällt mir die mittlere Seite mit dem Turnier am besten. Wobei wir als „kurfürstliche” Sachsen schon Probleme haben, einen Bayernkönig auszumalen ;P
LG, Familie Schüppel
PS: Genial, dass du weiterführende Literatur angibst.
Sous-vide-Garen sagt:
Hallöle, ich habe die Ausmalseiten bei unseren Nachbarn liegen gesehen und wollte selbst mal gucken, was hier so abgeht. Wirklich schön, dass noch Sachen für die analoge Welt gemacht werden. Mein Kleiner ist 7 und hat gerade eine Ritter-Phase, weshalb ich schon glaube, dass ihm das Ausmalen der Mittelalterbilder gefällt. Mal sehen wenn er aus der Schule kommt. Drucken ging problemlos, danke.
Gerhard Kitzing sagt:
Grüß Gott nach Bayern! Wir sind Reenactment Anhänger und ganz nebenbei gesagt, Besitzer eines Familienwappens. Und so musste es kommen, dass ich irgendwann auf diesen Artikel stoße.
Wie Sie richtig erwähnten, gingen Wappen aus den europäischen Ritterkämpfen des Hochmittelalters hervor. Zur Kunst wurden die Zeichen erst durch Herolde. Heute ist die Heraldik ein wirklich schönes Hobby.
Wir sind keine Ausmaler und Kinder haben wir auch keine - mein Bruder ist aber Grundschullehrer, dem werde ich diese Seite hier verlinken.
Alles Liebe und weiter so!