Die Kirchweih ist fast so alt wie das Christentum. Zu Beginn der Spätantike war sie ein jährlich wiederkehrendes Erinnerungsfest an den Tag, an dem ein Gotteshaus durch die erste bischöfliche Messe¹ in Dienst gestellt wurde. „Welch lahmes Brauchtum”, dachten bereits die Könige des Frankenreichs, dessen Grenzen sich rasch gen Osten und Süden ausdehnten. In den eroberten Gebieten lebten vorwiegend Heiden, weshalb die Karolinger-Herrscher sogenannte Eigenkirchen stifteten, welche als Zentren der Christianisierung dienen sollten. Nun konnte natürlich nicht für jedes Prärie-Gebetshaus eine Reliquie für den Altar oder ein Bischof für die Weihe herangeschafft werden. Also legten entweder die Monarchen oder fränkische Missionare² nach Lust und Laune fest, welcher Heilige das Patrozinium für eine neue Pfarrkirche übernimmt, dessen Namenstag dann gleichzeitig³ der Anlass für die Kerb, Kirmes, Kirta oder Kerwa war.
Natürlich hatten die frühmittelalterlichen Kirchweihen der christianisierten Germanen schon viel von ihrem religiösen Ursprung verloren. So dominierten anstelle von spartanischer Andacht, Völlerei und Lustbarkeit das Geschehen.
Im Laufe der Zeit gesellten sich immer mehr weltliche Elemente zu den sakralen Erinnerungsfesten. Währenddessen die Bauern des ländlichen Alpenraums lokale Bräuche etablierten, gingen Kirmessen in den mittel- und niederdeutschen Wirtschaftszentren zumeist mit großen Vieh- oder Jahrmärkten einher. Bestes Beispiel hierfür ist die Cranger Kirmes, die vermutlich auf einem Pferdemarkt⁴ basiert, der sich wiederum zu einem allgemeinen Handelsplatz entwickelte, in dessen Nähe ein Wanderpriester zeitweise vor einem tragbaren Altar gepredigt haben soll.
Das Jahr 1449 ist ein „Kann“-Datum. In diesem Jahr wurde Theoderich van Eickel das Sonderrecht erteilt, einen tragbaren Altar mit sich zu führen, um im Haus Crange oder auch an jedem anderen Ort einen Gottesdienst abzuhalten.
Hagen, Jürgen: Cranger Kirmes. herne-damals-heute.de (09/2023).
Das größte Volksfest Nordrhein-Westfalens hatte also nie etwas mit einer klassischen Kirchweih zu tun. Auch der Münsteraner Send wurde schon im Spätmittelalter als Kirmes bezeichnet, obwohl dessen Ursprünge in einer wiederkehrenden Synode mit angeschlossenem Markt liegen. Generell lässt sich sagen, dass die Menschen im geographischen Westen Deutschlands vielleicht schon ab dem 15. Jahrhundert einen Rummelplatz mit Gauklern, Verkaufsständen und Schaustellern meinten, wenn sie von einer Kirmes sprachen.
Feilschende Bauern
Hingegen in Bayern und Österreich trugen die Pfarrer stolz die Monstranz durch ihr Dörfchen, ehe sie die Geschichte von Zachäus⁵ sowie die Heldentaten des lokalen Kirchenpatrons verlasen. Das ersehnte „Zwölfeläuten„⁶ bildete den Abschluss des frommen Eröffnungsprogramms und leitete den Beginn des Hochzeitsmarktes ein. Schließlich galten die Kirchweihen für die Bauern des oberdeutschen Sprachraums als wichtigster Anlass⁷ für die Brautschau. Dabei ließ sich an der Farbe des Hutbandes⁸ erkennen, ob ein Agrarier ledig, verheiratet oder in Trauer war. Das Jungvolk hatte allerdings keine freie Partnerwahl, sondern musste darauf hoffen, dass es von den Vätern nicht an allzu schiache Kandidaten verschachert wurde.
- Zünftige Musik, Bier und Kirchtagssuppe begleiteten das angeregte Feilschen ums Tagwerk.
War die Katze im Sack, dann stießen die alten Bauern gerne zu den Mägden und Knechten, die den Festtag zum Verlustieren nutzten, da sie sowieso keine ehelichen Verbindungen eingehen durften. Indessen versammelten sich die Erben in ihren Zechen und begannen mit dem Tanzen und Raufen.
Da ging´s dann oft turbulent zu, und manch einer, der durch zu viel Bier mutig wurde, holte sich einen blutigen Kopf. Das war damals Unterhaltung pur, denn die Unbeteiligten sahen zu.
Russinger, Sepp: Innviertler Bauernbua im Wandel der Zeit. Munderfing: Verlag INNSALZ 2016.
Zwischendurch drehte die Landjugend immer mal wieder eine Runde auf der Kirta-Hutschn. Diese Schaukel bestand aus einem Balken, der mit Ketten an der Scheunendecke befestigt war.
Ganz früher hatten die Knechte die Kirta-Hutschn fest angeschubst, damit die Röcke der Dienstmägde richtig hochgeflogen waren.
Schuster, Christoph: Kirchweih-Bräuche in Bayern: Hutschn oder Kirwabam? | Schwaben & Altbayern | BR. youtube.com (09/2023).
Der Ruf zur Ordnung
Bekanntlich hat immer irgendein Heiliger Namenstag, weswegen in den bayerisch-österreichischen Gebieten das ganze Jahr über Kirchweihen stattfanden, die von der Bourgeoisie abfällig als Bauernfaschinge⁹ bezeichnet wurden.
Bald wollte es der Adel nicht länger hinnehmen, dass der Nährstand lieber Alkoholleichen und Bastardkinder anstelle von Lebensmitteln produzierte. Demzufolge sah es die theresianisch-josephinische Kirchenpolitik¹⁰ im Habsburgerreich vor, die lokalen Kirchweihen zu verbieten und am dritten Sonntag im Oktober den „Kaiserkirchtag” einzuführen, um die ländlichen Exzesse zu kanalisieren. Es sollte aber noch fast ein Jahrhundert bis ins Jahr 1866 dauern, ehe sich die Idee einer „Allerweltskirchweih” in jedes Dorf herumgesprochen hatte.
Die „Allerweltskirchweih” trat an die Stelle der zahllosen Kirchweihen. Vorher hatte jedes Dorf seine eigene Kirchweih zu unterschiedlichen Terminen, was auf Kosten von vielen Arbeitstagen ging.
Bichler, Albert: Feste und Bräuche in Bayern im Jahreslauf. München: J. Berg Verlag 2013.
Wo es noch echt ist
Wer heutzutage eine deutsche Kirmes¹¹ besucht, der findet sich in einem internationalen Vergnügungspark wieder. Zwischen Caipi-Bowle, Halal-Fleisch, ohrenbetäubender Chart-Musik und Leuchtreklame lassen sich weder Brauchtum noch religiöse Ursprünge erkennen. Doch wo ist es noch so, wie es früher einmal war? In Bayern vielleicht? Das wäre territorial zu weit gegriffen. Schließlich würden US-Bürger sowohl die Michaelis-Kirchweih in Fürth¹² als auch die Rheinkirmes in Düsseldorf als „Funfair” bezeichnen.
- Anders sieht es beim Kollmitzberger Kirtag in Niederösterreich aus. Noch traditioneller geht es aber auf der Schwarzenfelder Kirwa zu.
Hier steht seit jeher das Patrozinium von St. Ägidius im Vordergrund, weshalb dieses Erinnerungsfest keine „Allerweltskirchweih” ist, sondern immer um den ersten September stattfindet.
Die wenigsten wissen, dass die Schwarzenfelder Kirwa eigentlich einen ganz anderen Namen hat, vor allem nicht die Jüngeren. Er lautet Ägidius-Kirchweih.
Gohlke, Kai: Zur Kirwa gehört auch eine Kirche. onetz.de (09/2023).
Auch sonst lassen sich die störrischen Oberpfälzer nicht vom ostentativen Zeitgeist übermannen. Denn auf welcher Kirchweih gibt es sonst noch einen Gottesdienst mit Kirchenchor, einen Trachtenumzug, einen Standmarkt sowie einen Mittagstisch, der aus Braten, Blaukraut und Knödeln besteht?
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Die schwierigen Anfänge von Weihnachten - eine Chronologie
¹Maier, Bianka: Kirchweih. logo-buch.de (09/2023).
²Puchner, Karl: Patrozinienforschung und Eigenkirchenwesen mit besonderer Berücksichtigung des Bistums Eichstätt. Diss. masch. München: Ludwig-Maximilians-Universität 1932.
³Koch, Sylvia: Die Kirchweih. multi-deutsch.de (09/2023).
⁴Spooren, Markus: MEGA Reportage - Cranger Kirmes 2023 - Das größte Volksfest in NRW. youtube.com (09/2023).
⁵Hötzelsperger, Anton: An Kirchweih sieht man die Zachäus-Fahne. samerbergernachrichten.de (09/2023).
⁶Friedl, Inge: Wie’s amol wor. Vom Leben auf dem Land. Wien: Styria Regional Carinthia 2011.
⁷Papp, Heidi: Um was geht es bei der Kirchweih? genussregion-coburg.de (09/2023).
⁸Schwellensattl, Josef: Sarner Kirchtag. BR Fernsehen (2003).
⁹Handler, Margret: Kirchweih ist der Fasching der Bauern. In: Servus in Stadt & Land Nr. 10 (2021). S. 129.
¹⁰Scheutz, Martin: Ein „Lutheraner“ auf dem Habsburgerthron. univie.ac.at (PDF) (09/2023).
¹¹KirmesFreakInYou: Hüstener Kirmes 2023 Samstags Rundgang. youtube.com (09/2023).
¹²Holthus-Rüd, Matthias: „Friedlichste Kärwa der Welt”: 1,5 Millionen Besucher in Fürth. br.de (09/2023).