Bereits im Jahre 354 legte Papst Liberius¹ die Menschwerdung Gottes auf den 25. Dezember. An diesem Datum sah der Julianische Kalender die Wintersonnenwende vor, was für alle antiken Völker ein bedeutsames Ereignis² war. So huldigten die polytheistischen Römer am selben Tag ein mythologisches Wesen namens Sol Invictus. Dieser und andere heidnische Lichtbringer standen dem expandierenden Christentum im Wege, weshalb die Geburt des allmächtigen Erlösers ebenfalls in der längsten Nacht des Jahres stattfinden musste. Trotz des schlüssigen Narrativs konnten die bodenständigen Germanen nur wenig mit einem jüdischen Handwerker aus Nazareth anfangen. Dementsprechend kam es häufig vor, dass die welschen Missionare im heutigen Deutschland vor ihrer Zeit starben.
Die Anhänglichkeit der Germanen an Odin und Co. war so ausgeprägt, dass sie die unerschrockenen Prediger in Germaniens dunklen Wäldern öfter zu Tode brachten.
Ufertinger, Volker: Warum feiern wir Weihnachten? München: Deutsche Verlags-Anstalt 2004.
Es dauerte bis zur Kaiserkrönung Karls des Großen im Jahre 800, ehe im östlichen Teil des Frankenreichs an die Niederkunft des Herrn geglaubt wurde. Doch warum wollten unsere Vorfahren kein Teil der Ekklesia sein? Vielleicht hatte es damit etwas zu tun, dass die Jungfrauengeburt im Frühmittelalter ein reines Kirchenfest war, das nur im öffentlichen Raum stattfand. Zu Hause leuchteten weder Adventskränze noch gab es Geschenke. Vielmehr mussten alle Christen ab dem siebten Lebensjahr zwischen dem 15. November und Heiligabend fasten.
Die an Fastentagen eingenommenen Speisen durften nur von einfachster Beschaffenheit sein und bestanden meist aus Mehlspeisen.
Strauchenbruch, Elke: Luthers Weihnachten. 3., erweiterte und korrigierte Auflage. Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt GmbH 2014.
Nachdem das Heilige Römische Reich geschmiedet worden war, heiratete Kaiser Otto II. am 14. April 972 eine byzantinische Prinzessin, die auf den Namen Theophanu³ hörte. In eisigen Dezembernächten erzählte die Adelstochter aus Kleinasien gerne von den Wundertaten, die Nikolaus von Myra vollbracht haben soll. Währenddessen der türkischstämmige Bischof in der orthodoxen Kirche längst den Status eines Superstars⁴ innehatte, zählte der orientalische Kinder- und Jungfrauenbeschützer im Abendland eher zu den christlichen Randfiguren. Dies änderte sich im späten 10. Jahrhundert, was an einer Reihe von Zufällen lag.
Der erste Gabenbringer
Als der Kaiser mit nur 28 Jahren starb, übernahm Theophanu die Regentschaft für den Thronfolger Otto III., der zu diesem Zeitpunkt erst drei Jahre alt war. Die beliebte Königinmutter nutzte ihre neu gewonnene Macht, um den byzantinischen Nikolauskult in deutschen Landen zu integrieren. So sollten die geistlichen in den herrschaftlichen Pfalzen immer am 6. Dezember süßschmeckende Viktualien an die ortsansässigen Kinder verteilen. Wenig später setzten Klosterschulen den Bischof von Myra für Erziehungszwecke ein. Wer es mit dem Adventsfasten und Beten nicht so ernst genommen hatte, der bekam am Todestag des Heiligen weder Apfel noch Mandelkern geschenkt. Stattdessen gab es mit der Rute auf die Nuss.
Schnell nahm die Verehrung des ersten Gabenbringers immer größere Dimensionen an. Noch bevor im 12. Jahrhundert⁵ das Wort Weihnachten seinen Weg in den Sprachgebrauch fand, organisierten Jugendliche an jedem Nikolaustag Prozessionen, um den morgenländischen Totenerwecker zu ehren.
Als Martin Luther am 6. Dezember 1527 einen solchen Schülerumzug sah, wetterte der Theologieprofessor in seiner Abendpredigt gegen⁶ das antiquierte Nikolausbrauchtum. Der Reformator störte sich daran, dass jedes Jahr ein großer Zirkus für einen Kirchenmann aufgeführt werde, währenddessen der Heiland immer mehr in Vergessenheit geriet.
Das Christkind erscheint
Die Weihnachtsvorbereitungen waren für die zahlreichen Bauernkinder eine große Schinderei, da in der Woche vor dem Fest das sogenannte Saustechen⁷ stattfand. Währenddessen die Eltern mit den Mägden und Knechten das geschlachtete Mastvieh in haltbare Speisen verwandelten, mussten selbst die Kleinsten bei der Stallarbeit mithelfen. Neben dem Heubinden und dem Federnschleißen hatte der Nachwuchs ebenfalls dafür zu sorgen, dass es in den spätmittelalterlichen Hufen einigermaßen sauber aussah. An Heiligabend ging es dann erst in die Christmette und später mit knurrendem Magen ins Bett. Hingegen am Nikolaustag gab es fröhliche Umzüge und selbst für die Ärmsten fielen ein paar Äpfelchen oder Nüsschen ab.
Luther überlegte fieberhaft, wie der Erlöser die Poleposition auf der Volksverehrungsskala zurückerobern könnte. Im Jahre 1535⁸ sprach der Augustinermönch dann die folgende Empfehlung aus: Jedes Jahr am 24. Dezember soll das Christkind den Knirpsen etwas bescheren. Der Reformator setzte seine erfundene Figur jedoch nicht mit Jesus von Nazareth gleich. Vielmehr dachte der Visionär an ein engelsgleiches Wesen weiblichen Geschlechts.
Das engelsgleiche Christkind ist aber nicht zu verwechseln mit dem neugeborenen Christus. Der ist ja auch ein Junge.
Kiesel, Harald: Willi wills wissen - So himmlisch ist Weihnachten! Frankfurt am Main: Baumhaus Verlag 2007.
Es dauerte noch einige Zeit, ehe die protestantischen Kurfürsten den Ideen des Theologieprofessors folgten. Aber spätestens nach dem Augsburger Religionsfrieden untersagte die evangelische Kirche die Anbetung der Heiligen. Von da an klingelten in der Adventszeit nur noch am Weihnachtsabend die Glöckchen, wenn der zweite Gabenbringer sein Werk vollendet hatte.
Der Weihnachtsmann
Sowohl im Rheinland wie auch im oberdeutschen Sprachraum verlief der Nikolaustag weiterhin so, als hätte es Martin Luther nie gegeben. An Heiligabend gab es in den katholischen Gebieten höchstens einen Satz heiße Ohren, wenn die Rotzlöffel beim verfrühten Fastenbrechen erwischt worden waren. Erst im 19. Jahrhundert tauchte das Christkind plötzlich unterhalb der Mainlinie auf, da die Kinder in der Erfurter Union ihre Wunschzettel ausschließlich an den Weihnachtsmann adressierten. Was hatte das weißgewandete Mädchen nur angestellt? Vermutlich begann alles im Jahre 1848⁹ mit der Veröffentlichung eines Fotoromans, in dem ein „Herr Winter” die Hauptrolle spielte. Dieser fiktive Greis bedeckte seinen fülligen Körper mit einem braunen Kapuzenmantel, aus dem eine dicke Knollnase und ein langer Bart herausschauten. Der grimmige Graukopf traf den Geschmack des biedermeierlichen Bürgertums, das autoritäre Vaterfiguren als Ideal betrachtete. Und somit ist es sehr wahrscheinlich, dass sich die reformierten Preußen aus einer Comicfigur einen realen Geschenklieferanten gebastelt haben.
Diese Figur passte genau zu den damaligen bürgerlichen Leitbildgedanken „vom liebevoll-autoritären Vater” und dem artigen Bürgerkind, „unwissend darüber, woher die Geschenke kamen und was sie kosteten”.
Vossen, Rüdiger: Weihnachtsbräuche in aller Welt. Von Martini bis Lichtmess. Hamburg: Ellert & Richter Verlag GmbH 2012.
Vor allem während des Deutsch-Französischen Krieges gewann der Weihnachtsmann immer mehr an Bedeutung. Hierfür war Otto von Bismarck verantwortlich, der den alten Rauschebart im Advent des Jahres 1870 regelmäßig an die Front schickte, um die trübe Stimmung in den Schützengräben aufzuhellen.
Ob Frontabschnitt mit Weihnachtsbaum, Soldaten oder Verwundete mit Weihnachtsmann, die Zeitungen verbreiteten eifrig die unwahre Idylle.
Baasner, Rainer: Kleine Geschichte des Weihnachtsmanns. Berlin: Nicolai Verlag 1999.
Reconquista Germanica
Bis zum Millennium sah es dann fast so aus, als müsse sich das Christkind gänzlich aus Deutschland zurückziehen. Das lag daran, dass der hiesige Film- und Musikmarkt direkt nach der Wiedervereinigung stark unter US-amerikanischem Einfluss stand. Der angelsächsische Weihnachtsmann, der unter dem Namen Santa Claus bekannt ist, erhielt in den Adventszeiten die gesamte mediale Aufmerksamkeit, wodurch das lutheranische Engelchen immer mehr in Vergessenheit geriet. Doch wie zumeist in der Geschichte gehörten die Nürnberger auch diesmal zur Gegenbewegung. Währenddessen der Zeitgeist eine rot-weiße Werbefigur überhöhte, blieb in der Frankenmetropole die Empore der Frauenkirche ausschließlich für die Himmelsbotin reserviert.
Beim ersten Mal - 1933 - steht eine Schauspielerin als Christkind auf der Empore. [...] 1969 wird das Christkind dann erstmals gewählt.
Meißner, Birgit: Nürnberg und sein Christkind: Ein Mädchentraum. youtube.com (12/2020).
Von seiner bayerischen Zentrale aus begann das weiß-goldene Lockenköpfchen vor einigen Jahren damit, die verloren geglaubten Gebiete zurückzuerobern. Bei ihrem Feldzug setzt die clevere Gabenbringerin auf charismatische Influencerinnen, die als Christkindl auf bundesdeutschen Weihnachtsmärkten für ihre Chefin werben.
Das Christkind kommt nur an Weihnachten auf die Erde. Das Christkindl vertritt das Christkind.
Mansuroglu, Can: Der Christkind-Check. youtube.com (12/2020).
Die sanfte Infiltrationstaktik trug bereits erste Früchte, da es mittlerweile selbst im nordischen Niedersachsen¹⁰ ein Postamt gibt, dass die Wunschzettel an das Christkind weiterleitet.
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¹Strußenberg, Judith: Feste und Feiern im Mittelalter. In: Miroque Nr. 12 (2013). S. 33.
²Anhalt, Utz: Winterschrecken und Weihnachtsmänner. In: Karfunkel Nr. 103 (2012). S. 38.
³Schneidmüller, Bernd: Otto II. (973-983). In: Die deutschen Herrscher des Mittelalters. Historische Portraits von Heinrich I. bis Maximilian I. Hrsg. von Bernd Schneidmüller & Stefan Weinfurter. München: Verlag C. H. Beck 2003. S. 62.
⁴Weber, Kristin: Hl. Nikolaus, Bischof von Myra. In: Karfunkel Nr. 67 (2006). S. 127.
⁵Grimm, Jacob & Wilhelm: Deutsches Wörterbuch. Hrsg. von der Deutschen Akademie der Wissenschaften Berlin. 33 Bde. Leipzig. 1854 - 1960 (Nachdruck München 1984).
⁶Strauchenbruch, Elke: Luthers Weihnachten. 3., erweiterte und korrigierte Auflage. Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt GmbH 2014.
⁷Bauer, Michael: Wir freuten uns auf frische Grammeln, die schmeckten himmlisch. In: Alle Jahre wieder...: Weihnachten zwischen Kaiserzeit und Wirtschaftswunder. Hrsg. von Heinz Blaumeister & Eva Blimlinger. Wien: Böhlau Verlag 1993. S. 58.
⁸Beckers-Dohlen, Claudia: Alle Jahre wieder...: Eine kleine Geschichte des Weihnachtsfestes. In: Karfunkel Nr. 121 (2015). S. 16.
⁹Assel, Jutta & Georg Jäger: Moritz von Schwind. Herr Winter. Münchener Bilderbogen Nro. 5. goethezeitportal.de (12/2020).
¹⁰Schaller, Monika: Wo wohnt der Weihnachtsmann, das Christkind und der Nikolaus? deutschepost.de (12/2020).
808Blessed sagt:
Guten Tag liebe Leute, ich unterrichte u. a. evangelische Religion an einer integrierten Gesamtschule. Gerade in der Vorweihnachtszeit ist es schwierig, passende Materialien zu finden, auf denen nicht ein dicker Coca-Cola-Weihnachtsmann thront. Die drei Rätselbögen von hier scheinen mir einen realen Einblick in vergangene Weihnachtsfeste zu gewähren, weshalb ich sie als Ergänzung zu meinen Religionsstunden verwenden werde. Sollte ich hierbei etwas beachten, dann würde ich es begrüßen, wenn Sie mir eine Mail schreiben. Ich wünsche eine besinnliche Adventszeit!
Schlaufux sagt:
Der Weihnachtsmann war die bürgerliche Antwort auf die Karlsbader Beschlüsse. Er kam dort vor, wo die Bestrebungen nach nationaler Volkssouveränität besonders stark ausgeprägt waren. Ein Weihnachtsbrauch für alle Volksgenossen, war die Devise. Eine Entscheidung, die nicht von den Fürsten des Deutschen Bundes vorgegeben werden konnte. In Bayern und Österreich hatte man ja eine nationale Identität mit schwachen Monarchen, wodurch der Weihnachtsmann nicht als Politikum zum Einsatz kam. Übrigens, Norddeutschland bestand während des Vormärz nicht nur aus Preußen. Und ja, Bismarck besinnte sich auf den Weihnachtsmann und nutzte ihn für die deutsche Einheit.
Heute ist Weihnachten ein belangloses Konsumfest. Im 19. Jahrhundert war es ein Politikum, das nicht immer etwas mit Konfessionen zu tun hatte. Das wollte ich zum Ausdruck bringen.
Thomas B. | 7C sagt:
Hallo, ich bin Lehrer für D/G an einer Gesamtschule (NRW). In meinen Klassen beschäftigen wir uns die kommenden Tage mit Weihnachtsfiguren und da sind Ihre Unterlagen sehr hilfreich.
Im Rheinland haben der Martins- und Nikolaustag traditionell einen höheren Stellenwert als Weihnachten. Aufklärungsarbeit ist darum wichtig. Ich wünsche eine frohe Adventszeit und bedanke mich.
Präfekt sagt:
Guten Tag allerseits. Ich werde im Zuge der Adventszeit christliche Gabenbringer durchnehmen und bin bei der Vorbereitung auf ihre Malbuchseiten gestoßen. Man sieht, dass Sie viel Arbeit investiert und sich intensiv mit dem Thema beschäftigt haben. Hier in Stuttgart ist das Christkind der Primus und je mehr ich mich über dieses Geschöpf informiere, umso mehr verneige ich mich vor der Leistung Luthers.
Verglichen mit Befana oder Santa Clause stellt das Christkind einen direkten Bezug zu Jesus von Nazareth dar und ergibt an Weihnachten einen Sinn.
Auf jeden Fall vielen Dank für die Materialien und ich wünsche Ihnen eine besinnliche Adventszeit.
H. Kuhn sagt:
Gerne würde ich den Artikel ergänzen: Die Forschung ist sich relativ sicher, dass Martin Luther das Christkind nicht erfunden, sondern etabliert hat. Bereits nach Jan Hus gab es bei Protestanten den „Heiligen Christ” als Gabenbringer. Diese Figur hatte allerdings noch keine definierte Gestalt.
Luther störte sich vor allem - an den im Text erwähnten Nikolaus-Umzügen - welche den Fokus von der Geburt Christi nahmen. Man darf nicht vergessen, dass Nikolaus vor der Reformation so populär wie Helene Fischer oder Taylor Swift war und gerade Bauernkinder gar nicht mehr wussten, um was es im Advent eigentlich geht.
MfG, Heinz Alexander Kuhn (Kněževes/CZ).
Liese Poster sagt:
Servus Vroni, ich bin 1953 bei Bischofswiesen am Königssee geboren. Bei uns kam am 6.12. immer der Nikolo mit zwei Perchten und einem Engel. Da haben wir Geschenke bekommen. Das haben wir bei unseren Kindern auch so gemacht. Erst als meine Enkelin zur Welt kam, hat mein Sohn Weihnachten mit Christkind am 24.12. gefeiert.
Weihnachtsmann gibts bei uns im Süden Bayerns überhaupt nicht.
Deine dritte Ausmalseite gefällt mir besonders gut. Ungefähr so sahen wir und der Weihnachtsmarkt in Berchtesgaden in 1960ern aus.
Dir eine schöne Adventszeit, lg Liese