Im April des Jahres 356¹ nach Christus hatte ein Alamannenstamm westlich von Worms ein Heerlager errichtet. Das war seinerzeit nichts Ungewöhnliches. Schließlich schickte der Bucinobantenkönig Makrian seine Streitkraft jeden Frühling² über den Rhein, damit diese in Gallien brandschatzen³ konnte. In dieser Jagdsaison wollte Caesar Julian jedoch verhindern, dass die Barbarenarmee über die romanische Bevölkerung herfiel, weshalb er das Germanencamp zusammen mit einigen Legionärskompanien belagerte. Am Abend vor dem Angriff erklärte der Juniorkaiser seinem Stab gerade die Schlachtstrategie, als sich plötzlich ein Offizier namens Martinus zu Wort meldete. Der kauzige Gardist bat darum, den Militärdienst mit sofortiger Wirkung quittieren zu dürfen, da er von nun an ein Soldat Christi sei. Der zornige Imperator lehnte das Gesuch ab und erwiderte: „Fast ein Vierteljahrhundert lang hast du die Krieger Wotans mit deiner Spatha geschändet und jetzt bekommst du es mit der Angst zu tun. Du bist ein Feigling!” Daraufhin bot der verunglimpfte Kavallerist an, seine Waffen niederzulegen und nur mit dem Zeichen des Kreuzes gegen die Eindringlinge zu kämpfen.
Als der Kaiser ihm Feigheit vorwarf, erklärte sich Martinus bereit am nächsten Morgen ohne Waffen, nur mit dem Zeichen des Kreuzes die feindlichen Reihen zu durchbrechen.
Theologie: Martin von Tours / St. Martin (316-397). youtube.com (10/2019).
Der römische Feldherr zeigte sich einsichtig und nahm den Deserteur beim Wort. Sicherheitshalber ließ Julian den rebellierenden Martinus verhaften⁴, damit sich dieser in der Nacht nicht davonschleichen konnte.
Am nächsten Morgen bereitete sich der wehrlose Martinus seelisch auf seinen Märtyrertod vor, als wie aus heiterem Himmel zwei Germanen in das römische Legionärslager ritten. Die beiden alamannischen Boten teilten Caesar Julian mit, dass sich ihre Waffenbrüder kampflos hinter den Limes zurückziehen werden. Der Juniorkaiser akzeptierte die Kapitulation und sah von einem Vergeltungsschlag ab, da er ohne Blutvergießen einen großen Sieg errungen hatte.
Am anderen Tage aber kamen Unterhändler der Alamannen. Sie boten die Übergabe an. Der Kaiser hatte ohne Kampf einen Sieg errungen.
TheSupermeister: Sankt Martin (historisch). youtube.com (10/2019).
Der Märtyrer von Worms
Auch Martinus durfte trotz seines frevelhaften Benehmens weiterleben, musste allerdings die fünfundzwanzigjährige Wehrpflicht erfüllen. Das war auch die gerechte Strafe für den renitenten Gardisten. Denn der gebürtige Ungar passte nicht zur Legion. So kniete der genügsame Asket beispielsweise jeden Abend in seiner Kammer und wusch seinem Sklaven⁵ die Füße, währenddessen sich die anderen Offiziere in den gallischen Badehäusern vergnügten. Dementsprechend machte der gottesfürchtige Pazifist innerlich drei Kreuze, als er im Herbst 356 seinem Vaterland ausreichend gedient hatte.
Erst 356 konnte Martin das Heer verlassen - zur vorgesehenen Zeit nach den damals üblichen 25 Dienstjahren eines Zeitsoldaten. Martin war zu diesem Zeitpunkt 40 Jahre alt.
Stühlmeyer, Barbara: Ein Mann und sein Mantel. 1700 Jahre Martin von Tours. In: Karfunkel Nr. 126 (2016). S. 21.
Der Sohn eines römischen Rittmeisters⁶ erkannte nicht erst bei Worms, dass er zu höherem Berufen war. Bereits als kleiner Steppke interessierte sich der Polytheist für das junge Christentum. Regelmäßig suchte der neugierige Knabe die Kirche⁷ in Pavia auf. Doch musste Martinus seine Volljährigkeit abwarten, ehe er sich zu den Taufbewerbern gesellen durfte.
Der Wohltäter von Amiens
Nachdem Martinus die Militärschule in Mailand besucht hatte, wurde er als Offiziersanwärter in den nördlichen Teil Galliens versetzt. An einem bitterkalten Februarmorgen im Jahre 334 kam der Kavallerist gerade von einem Aufklärungsritt zurück, als er am Stadttor von Amiens einen halb erfrorenen Bettler erblickte. Kurz entschlossen zückte der Katechumene⁸ sein Schwert und trennte damit ein großes Stück von seiner scharlachroten Chlamys ab. Dann warf er das gefütterte Stoffrechteck dem Habenichts zu. Der umherstehende Pöbel spottete über die selbstlose Aktion, denn seinerzeit war es unüblich, dass ein angehender Centurio einem Hilfebedürftigen so viel Aufmerksamkeit schenkte. Doch der Philanthrop blieb guten Mutes und setzte seine Heimreise unbeirrt fort. In der darauffolgenden Nacht träumte der junge Soldat von Jesus Christus. Der Messias sprach: „Seht her ihr Engel, Martinus kleidete mich mit seinem Mantel, obwohl er nicht getauft ist.”
Noch ehe Martin sich taufen ließ, teilte er am Stadttor von Amiens seinen Mantel mit einem Bettler. In der Nacht hatte er einen Traum, in dem Christus sich als der Bettler zu erkennen gab, den Martin bekleidet hatte.
Bieger, Eckhard: Das Kirchenjahr entdecken & erleben. Entstehung, Bedeutung, Brauchtum der Festtage. Leipzig: St. Benno-Verlag GmbH 2006.
Manch einer könnte sich nun fragen, warum der Wohltäter lediglich einen Teil seines Umhangs spendete. Schließlich dürfte es bis zur warmen Kaserne nicht mehr weit gewesen sein. Vermutlich wollte der pflichtbewusste Martinus eine Disziplinarstrafe vermeiden. Denn nach dem damaligen Gesetz⁹ mussten die Soldaten des Kaisers ihre Rüstung stets mit einem Paludamentum oder mit einer Chlamys schmücken. Des Weiteren war die komplette Uniform des Kavalleristen Armeeeigentum¹⁰ und ein Militärmantel kostete seinerzeit bis zu 8.000,00 Denare.
Nach dem Höchstpreisedikt des Kaisers Diocletian aus dem Jahr 301 kostete ein Sagum aus Amiens bis zu 8000 Denare, ein Mehrfaches dessen, was ein Soldat als jährlichen Sold erhielt.
Rosen, Judith: Martin von Tours. Der barmherzige Heilige. Darmstadt: Zabern Verlag 2016.
Als der skurrile Panzerreiter seinen Soldatendienst im Jahre 356 absolviert hatte, wollte er sich voll und ganz dem Christentum widmen. Aus diesem Grund ließ sich Martinus von einem Bischof namens Hilarius zum Exorzisten ausbilden. Einige Zeit später bezog der geweihte Teufelsaustreiber einen Einsiedlerhof¹¹ in der Nähe von Poitiers.
Für die Entwicklung des Christentums hat Martin eine große Bedeutung. Er gründet 361 das erste Kloster Galliens in Ligugé.
Bieger, Eckhard: Das Kirchenjahr zum Nachschlagen. Entstehung - Bedeutung - Brauchtum. 4. Auflage. Kevelaer: Verlag Butzon & Bercker 1997.
In seinem primitiven Kloster nahm der keusche Seelenhirte allerdings keine Befreiungsdienste vor. Trotzdem war der Mönch immer sehr beschäftigt, da er Kranke heilen, Heiden bekehren und Tote auferwecken musste.
Dann richtete er sich ein wenig auf, blickte den Toten unverwandt an und wartete voll Zuversicht auf die Frucht seines Gebetes. Kaum waren zwei Stunden vergangen, da sah er, wie der Tote nach und nach alle Glieder bewegte.
Kuhnen, Korinna: Martin erweckt Tote. martin-von-tours.de (10/2019).
Der Bischof von Tours
Einige Jahre nachdem Martinus in den Priesterstand erhoben worden war, erfuhr der Wunderheiler im Juli 371, dass das Volk von Tours einen neuen Bischof suchte, da der bisherige Amtsinhaber Litorius nicht mehr unter den Lebenden weilte. Der bescheidene Asket hatte jedoch keine politischen Ambitionen und nahm die Todesnachricht mit Bedauern zur Kenntnis.
Drei Tage später arbeitete der Abt von Ligugé gerade in seinem Klostergarten, als er von Weitem eine tosende Meute auf seine Einsiedelei zukommen sah. Das aufbrausende Verhalten des heranschreitenden Gesindels verängstigte den scheuen Eremiten, weshalb dieser sich rasch im Gänsestall versteckte. Kurz darauf fragte der Rädelsführer einen verwirrten Mönch, wo Martinus zu finden sei. Doch der treue Gottesdiener blieb stumm und rannte panisch davon. Die emsige Wandertruppe ließ sich von dem Flüchtling nicht weiter beirren und suchte das Areal auf eigene Faust ab. Dabei wurde die Hausrazzia von einem nervtötenden Geschnatter begleitet, das immer lauter wurde.
Doch was machten die Gänse, als die Menschen, die Martin suchten immer näher kamen? Sie schnatterten so laut, dass die Leute auf sie aufmerksam wurden und Martin sofort fanden.
WDR: Die Geschichte von St. Martin. youtube.com (10/2019).
Um die Störgeräusche zu eliminieren, stürmte die Menschenmenge in den Gänsestall. Dort kniete der verschollene Martinus auf dem Boden und betete zu Gott.
- Prompt trat eine Frau aus der Menge und sprach: „Keine Angst mein Herr. Wir sind die Bewohner von Tours und möchten, dass du unser neuer Bischof wirst.”
- Der populäre Einzelgänger lehnte die Bitte jedoch ab, da er lieber ein ruhiges Leben führen wollte. Außerdem war der römische Exsoldat kein gebürtiger Gallier, weswegen er mit den keltischen Bauern nur unzureichend kommunizieren konnte.
Die störrische Horde blieb aber standhaft und flehte so lange, bis der gutmütige Philanthrop sich erbarmte und das freigewordene Kirchenfürstenamt übernahm.
Martin wurde um 316/17 im heutigen Szombathely in Ungarn geboren, war zunächst Soldat, ließ sich taufen und wurde als Schüler des Hilarius von Poitiers 371 zum Bischof von Tours gewählt.
Bieritz, Karl-Heinrich: Das Kirchenjahr: Feste, Gedenk- und Feiertage in Geschichte und Gegenwart. Überarbeitete Auflage. München: Verlag C. H. Beck 1994.
Die hohen Kirchenväter in den umliegenden Regionen befürchteten, dass der Bischofsstuhl zu groß für Martinus sei. Denn zum einen war der Soldatensohn kein Aristokrat und zum anderen sah der Sonderling wie ein ungepflegter Almöhi aus. Doch der Theologe ließ seine Kritiker verstummen, indem er stets im Sinne der Christenheit handelte und auch die organisatorischen Aufgaben pflichtbewusst erledigte.
Deutsches Martinsbrauchtum
Am 8. November 397 starb der beliebte Wunderheiler während einer Visitationsreise in Candes. Der Legende nach sollen 2000 Mönche den Leichnam des Universalgelehrten innerhalb von zwei Tagen nach Tours zurückgebracht haben. Es ist durchaus möglich, dass in diesem spätantiken Trauermarsch der Ursprung von den heutigen Martinsumzügen¹² liegt.
Die Touraine trauerte. Noch mehr trauerten die Mönche. Zweitausend sollen es gewesen sein, junge und alte, die Martin zu Grabe trugen.
Rosen, Judith: Martin von Tours. Der barmherzige Heilige. Darmstadt: Zabern Verlag 2016.
Bis zur Industrialisierung waren an Martini auch Weissagungen üblich. Am 11. November endete im feudalen Deutschland nämlich immer das Geschäftsjahr. Diesen Umstand nahmen vor allem Bauern zum Anlass, um über das zukünftige Wetter zu fabulieren.
Mit dem Martinstag ist der Sommer überwunden, der Winter zieht ein. [...] Neugierige möchten wissen, wie er ausfällt; deshalb sind an Martini allerlei Weissagungen üblich.
Fehrle, Eugen: Feste und Volksbräuche im Jahreslauf europäischer Völker. Kassel: Johann Philipp Hinnenthal Verlag 1955.
Das Ganze funktionierte jedoch nur, wenn die Frau des Hauses eine Martinsgans gebraten hatte, da das Brustbein des Geflügels als Orakel diente. War der Knochen blütenweiß, dann stand ein kalter Winter bevor. Hingegen bei einem dunklen Vogelskelett wusste jeder, dass die Heilige Maria nach Weihnachten in der Waschküche stehen muss, um das Kleid des Christkindes von den Matschflecken zu befreien.
Weiße Farbe des Brustbeins (viel Fett anzeigend) bedeutet Kälte, dunkle Farbe verweist auf Schnee und einen lauen Winter.
Schmidt, Gustav: Oberfränkisches Brauchtum in alter und neuer Zeit. Bayreuth: Oberfrankenstiftung 1994.
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¹Theologie: Martin von Tours / St. Martin (316-397). youtube.com (10/2019).
²Unger, Steffen: Römer in Germanien. In: Pax et Gaudium Nr. 32 (2008). S. 17.
³Winand, Michel: Vier „Stämme” im Überblick. Die Alamannen. In: Pax et Gaudium Nr. 34 (2008). S. 30.
⁴Bieger, Eckhard: Das Kirchenjahr entdecken & erleben. Entstehung, Bedeutung, Brauchtum der Festtage. Leipzig: St. Benno-Verlag GmbH 2006.
⁵Rosen, Judith: Martin von Tours. Der barmherzige Heilige. Darmstadt: Zabern Verlag 2016.
⁶Vossen, Rüdiger: Weihnachtsbräuche in aller Welt. Von Martini bis Lichtmess. Hamburg: Ellert & Richter Verlag GmbH 2012.
⁷TheSupermeister: Sankt Martin (historisch). youtube.com (10/2019).
⁸DOMRADIO: Sankt Martin und das Katechumenat. youtube.com (10/2019).
⁹Stühlmeyer, Barbara: Ein Mann und sein Mantel. 1700 Jahre Martin von Tours. In: Karfunkel Nr. 126 (2016). S. 19.
¹⁰Die Sendung mit der Maus: Sankt Martin. youtube.com (10/2019).
¹¹Gwosch, Ulrike: Der heilige Martin. kath-brigachtal.de (PDF) (10/2019).
¹²Merinetjeru: St.-Martinszug von Schaffrath. youtube.com (10/2019).
Marie von Liebstein sagt:
Hallo Veronika, es ist gut, dass es Christen wie dich gibt. Bei mir in Brandenburg findet die Kirche überhaupt nicht mehr statt. Gott, Familie, Gemeinschaft und Kultur spielen in den Predigten keine Rolle mehr. Auch in den Gemeindebriefen geht es nur noch um Tagespolitik.
Es ist wie im 15. Jahrhundert, als die Theologen dekadente Territorialfürsten waren. Auch zu dieser Zeit mussten die Gläubigen das Zepter an sich reißen, woraufhin die Reformation entstand.
Deine Ausmalseiten und deine Geschichte um Sankt Martin sind wundervoll! Das alles hilft mir, meinen drei Söhnen das Christentum näher zu bringen. Ganz liebe Grüße nach Bayern und mach bitte unbedingt weiter so, wir brauchen dich!
Frau Lehrerin sagt:
Grüß euch, möchte das Feedback nachholen. Habe die Vorlagen auf Facebook empfohlen bekommen. Unterrichte an einer AHS in Graz. Die Schüler der 5. Klassen waren durchweg begeistert. Selbst halbstarke Maulhelden waren dagesessen und haben den Sankt Martin ausgemalt. Ich finde total gut, was ihr hier macht. PS: Sogar unser Relipfarrer hat neidig geschaut, als ich ihm das Material gezeigt habe.
Froilain Katrin sagt:
Hi! Ich organisiere Jugendnachmittage, die von der katholischen Pfarrgemeinde in Merseburg gefördert werden. Deine Rätsel- und Malseiten über St. Martin gefallen mir super gut, weshalb ich sie in den Novembergruppen bearbeiten lasse. Sollte etwas dagegen sprechen, dann bitte eine E-Mail an mich. Vielen Dank für deine Mühe!
Nancy sagt:
Danke! Ganz großes Kino. Du machst St. Martin zum Popstar mit deinen Malseiten.
Ozzy sagt:
Uiuiui grandios erzählt, vor allem wenn man gerade „Barbarians” auf Netflix gesehen hat, kann man sich das mit dem Mantel und den Römern gut vorstellen. Ein großes Lob von mir! Schön zu sehen, dass junge Leute noch solche Schätze herstellen können. Hab mit Relgion wenig am Hut aber meine Enkel wollten was mit St. Martin machen. Soo allet jespeichert tschüssikowski!
Birgit Waringer sagt:
Sehr geehrte Frau Vetter! Wir sind sehr daran interessiert, eine Ihrer Rätselseiten in der nächsten Ausgabe unseres Pfarrbriefes abzudrucken. Leider können wir Sie nicht erreichen. Wir würden uns sehr freuen, wenn sich jemand bei der hier angegebenen E-Mail-Adresse melden würde. Vergelt’s Gott, B. Waringer
Fr. Galczynski sagt:
Die Geschichte St. Martins wurde hier sehr lebendig zusammengetragen. Ideal zum Vorlesen für Kinder. Die Rätsel sind etwas zu schwer aber die Ausmalbilder eignen sich sehr gut für 6- bis 10-jährige. Das ist mein Testergebnis. H. Galczynski (Tagesmutter)
Nathan^heiser sagt:
Moin die drei Rätsel wurden in den letzten Wochen als ergänzendes Unterrichtsmaterial in fünften Oberschulklassen (Emden) verwendet. Toll! St. Martin war ein guter Mann. Iss das Algorithmus.
J-W Neuwalter sagt:
Die Geschichte von St. Martin wurde wirklich wunderschön und lebhaft zusammengetragen. Selbst bin ich als Pfarrvikar tätig und immer auf der Suche nach Ideen, wie ich diesen besonderen Heiligen vermitteln kann. Herzlichen Dank! Den Ausdruck mit der Mantelteilung werde ich im November bei den Kindergottesdiensten auslegen. Gesegnete Grüße.