Am Ende des 6. Jahrhunderts¹ atmeten die Ochsen und Esel im östlichen Frankenreich auf, da die rechtsrheinischen Germanen von nun an ausschließlich Speichenräder an ihre Fuhrwerke zimmerten. Bis sich die Leichtbauweise endgültig durchgesetzt hatte, schlurften hierzulande nämlich noch massive Vollräder über die verwitterten Römerstraßen, die bereits 2897 vor Christus² von der oberschwäbischen Goldberg-III-Gruppe verwendet worden waren. Diese kreisförmigen Holzscheiben konnten bis zu 70 Kilogramm³ schwer sein, obwohl sie lediglich einen Durchmesser von 58 Zentimetern besaßen. Die flächendeckende Entmaterialisierung freute nicht nur die Zugtiere, sondern führte gleichzeitig zu einer Normung des Warenverkehrs. Denn zum einen kristallisierte sich durch den einheitlichen Rollantrieb bei Handelskarren eine standardisierte Spurweite heraus, was das Befahren von unbefestigten Hohlwegen deutlich erleichterte.
Die Spurweite der Wagen betrug gewöhnlich 110-120 cm.
Sturm, Andreas: Für Repräsentation und schwere Arbeit: Der Wagen im frühen Mittelalter. In: Karfunkel Nr. 107 (2013). S. 20.
Darüber hinaus konnten die luftdurchlässigen Holzringe wesentlich voluminöser als ihre zusammengepressten Vorgängermodelle sein, ohne dabei ihren Gewichtsvorteil⁴ einzubüßen. Aufgrund dieser Tatsache statteten die fränkischen Kaufleute ihre zweiachsigen Transportfahrzeuge zur Merowingerzeit häufig mit 83 Zentimeter großen Speichenrädern aus, wodurch sich die mögliche Nutzlast eines Ochsengespanns auf 1.100 Kilogramm erhöhte.
Um die sechsteiligen Felgenkränze der schwer beladenen Straßenwalzen zu schonen, ließen die frühmittelalterlichen Stellmacher die zwölf Speichen⁵ eines Wagenrades einige Millimeter über die Lauffläche stehen. Denn waren die Verschleißzapfen abgenutzt, dann mussten lediglich einzelne Elemente am Radskelett ausgetauscht werden. Generell zählten die damaligen Fuhrwerke zu den wartungsarmen Gebrauchsgegenständen. Wer die Naben regelmäßig schmierte, der konnte mit seinem bremsenlosen⁶ Vehikel problemlos 600 Kilometer ohne unfreiwilligen Zwischenstopp zurücklegen.
Mitte/Ende des 17. Jahrhunderts wurde damit begonnen, den Werkstoff Holz bei den Achsen durch Metall zu ersetzen und die Schmierung der Naben auf den Achszapfen von Teer auf Öl umzustellen.
Oberschmidt, Norbert: Das Rad. Eine bewegte Geschichte. Ubstadt-Weiher: verlag regionalkultur 2015.
Natürlich hätten die fränkischen Germanen ihre Speichenradfelgen auch lieber mit Eisenreifen geschützt, wie es bereits die Kelten während der Hallstattzeit⁷ taten. Nach dem Zerfall des Weströmischen Reiches herrschte jedoch ein eklatanter Metallmangel in Mitteleuropa, weshalb ein Wagenantrieb komplett aus Holz bestehen musste.
Neben dem zivilen Warenverkehr reformierte das gespeichte Rad ebenfalls bewährte Militärstrategien. Im Jahre 1328⁸ begannen die deutschen Ritter damit, ihr Gefolge mit Feuerwaffen auszustatten. Dabei handelte es sich um relativ harmlose Tonkugelgeschosse, die ca. 100 Kilogramm⁹ wogen und deshalb schnell mit Fuhrwerken verlegt werden konnten. Hingegen weniger Mobil waren die tonnenschweren Steinbüchsen, die König Eduard III. im Hundertjährigen Krieg gegen Frankreich einsetzte. Selbst im zerlegten Zustand hätten diese bronzenen Riesengeschütze die hölzernen Wagenachsen zum Brechen gebracht, weshalb die englische Belagerungsartillerie nicht ohne langsame Transportschlitten auskam.
Die ersten Kanonen waren schwerfällige, krachende Ungetüme; sie galten als Teufelszeug. Es war Glückssache, ob das Geschoss (meist eine Steinkugel) traf, oder ob das Kanonenrohr explodierte.
Hagl, Siegfried: Die machtvollste Erfindung der Weltgeschichte. siegfriedhagl.com (04/2020).
So richtig gefährlich wurden Rohrwaffen erst mit der Scharfmetze, die Kaiser Maximilian I. während der Hochrenaissance entwickeln ließ. Denn diese drei Tonnen schwere Zerstörungsmaschine konnte anderen Landstreitkräften auf Schritt und Tritt folgen, da sie auf einer fahrbaren Wandlafette lag. Dabei besaß das einachsige Kanonengestell zwei überdimensionierte Holzspeichenräder, die an den Schnittstellen mit massiven Eisenmodulen verstärkt waren.
Der Habsburger hatte 1504 die Scharfmetze „Löwen“ (Kaliber 23 cm) bei der Belagerung von Kufstein in Aktion gesehen und war zufrieden.
Popp-Sewing, Jan: Belagerungsgeschütze: Die größten Kanonen der Frühen Neuzeit. burgerbe.de (04/2020).
Witzigerweise beendeten die mobilen Feldgeschütze des österreichischen Monarchen auf einen Schlag das Burgenzeitalter, obwohl gerade Maximilian das ritterliche Leben propagierte wie kein Zweiter.
Dass nicht nur die Germanen, sondern auch ihre deutschen Nachfahren eher das Altbewährte¹⁰ schätzten, wird unter anderem bei der Entwicklung des Kinderwagens ersichtlich. Die ersten Säuglingskutschen aus den 1840er Jahren fuhren nämlich genau wie die Draisine mithilfe von antiquierten Holzspeichenrädern. Immerhin waren keine Verschleißzapfen mehr zu finden, da serienmäßig schmale Metallringe die Laufflächen schützten.
Anfänglich rüstete man den Kinderwagen mit Buchenholzrädern aus. [...] Mit aufgenieteten Eisenreifen versuchte man das rasch locker werdende Felgenholz zu binden, eine Notlösung bis sich ein besserer Werkstoff fand.
Sturm-Godramstein, Heinz: Kinderwagen gestern und heute. Erweiterte und aktualisierte Neuauflage. Norderstedt: BoD - Books on Demand GmbH 2001.
Trotz der Tatsache, dass sowohl Eisenbahnen als auch vulkanisierter Kautschuk längst den Alltag dominierten, dauerte es bis zu den 1880er Jahren¹¹, ehe es hierzulande Kinderwagen mit gummibereiften Drahtspeichenrädern zu kaufen gab.
Bereits seit dem Jahre 1962¹² ist es in Deutschland nicht mehr möglich, den Beruf des Stellmachers zu erlernen. Dementsprechend werden Bierkutschen und historische Fuhrwerke ausschließlich von fachfremden Handwerkern instandgehalten. Zum Glück ist für die Herstellung eines Miniaturwagenantriebs ebenfalls keine besondere Expertise vonnöten, da ich für dieses Unterfangen eine praktische Bastelschablone zur Verfügung stelle.
- Dabei lassen sich mit meinem zusammengebauten Formwerkzeug diverse Quilling-Figuren in identische Speichenräder verwandeln.
- Des Weiteren erlauben meine Kreisvordrucke eine Massenproduktion von drei unterschiedlich großen¹³ Leichtbaurollen.
Wer also eine authentische Bereifung für geschichtsträchtige Fortbewegungsmittel sucht, der darf sich auf die folgende Bildanleitung freuen. Denn darin zeige ich ausführlich, wie ich ein gummibesohltes Wagenrad anfertige, das aus Tonpapier und Holzstäbchen besteht.
Die Schablone
Ohne ein akkurates Formwerkzeug ist es fast unmöglich, genormte Quilling-Felgen zu basteln. Um ein solches Hilfsmittel herstellen zu können, legte ich mir zunächst einmal ein Graupappestück zurecht, das eine Grammatur von 650 g/m² besaß. Außerdem kramte ich eine zwei Millimeter dicke Moosgummiplatte hervor, da ich eine rutschfeste Radschablone anfertigen wollte. Hingegen auf der Vorderseite des Utensils wäre eine glatte und abwaschbare Oberfläche von Vorteil, weshalb ich mir zusätzlich ein schickes Antik-Papier herrichtete. Dann stattete ich meinen Arbeitsplatz mit einer Schere, einem flüssigen Kleber, einem Hobbyskalpell und einigen Schaschlikspießen aus. Und natürlich durfte ich nicht vergessen, meine digitalen Schnittmuster (#1 /#2 /#3) auf DIN A4 Bogen zu drucken.
Nachdem ich mir mein Bastelmaterial bereitgelegt hatte, fertigte ich die Rechtecke von Schablone #1 aus Steifpapier und aus EVA-Schaumstoff an. Gleich darauf stellte ich die vorgezeichneten Kreise in den beiden Graupappemodulen mit einem Hobbyskalpell frei. Im Anschluss daran klebte ich die drei Flächen so aufeinander, dass das Moosgummistück den Boden des Sandwiches bildete.
Als Nächstes nahm ich das zweite Schnittmuster zur Hand, damit ich von den vier Vorlagen exakte Kopien aus Karton anfertigen konnte. Unmittelbar danach machte ich die ampelförmige Ebene oben auf meinem mehrlagigen Formwerkzeug fest. Beim Anbringen des Plateaus musste ich jedoch darauf achten, dass die Öffnungen vom Größenverhältnis her zur Unterlage passten.
Dann verkleidete ich die Ränder der kleinen Löcher, indem ich die drei übrig gebliebenen Donuts mitten in die großen Aussparungen klebte. Zu guter Letzt staffierte ich die komplette Radschablonenfront mit Antik-Papier aus. Dies wäre nicht unbedingt notwendig gewesen, ermöglicht jedoch die langfristige Nutzung des Gebrauchsgegenstandes. Abschließend legte ich die Konstruktion unter ein schweres Buch, da die einzelnen Schichten dauerhaft zusammenwachsen sollten.
Das Naben- und Felgendrehen
Bevor ich mithilfe meines Formwerkzeugs einheitliche Antriebsrollen basteln konnte, musste ich zuallererst diverse Tonpapierstreifen vorbereiten, die eine Grammatur von 130 g/m² besaßen. Für die Herstellung eines mittelgroßen Wagenrades fertigte ich die folgenden Zellstoffleisten an:
- 1x 25 x einen Zentimeter (Innere Radnabe / Tight Coil).
- 1x 50 x 0,5 Zentimeter (Äußere Radnabe / Tight Coil).
- 1x 250 x 0,5 Zentimeter (Felge / Ring Coil).
Dabei setzte ich die voluminöseste Bahn aus fünf Einzelgliedern zusammen, die jeweils 50 Zentimeter lang waren.
Als Nächstes spaltete ich das flache Ende eines Schaschlikspießes, woraufhin ein Quilling-Stab¹⁴ entstand. Gleich danach drehte ich den kürzesten Papierstreifen mit meinem Holzwerkzeug zu einer engen Schnecke.
- Unmittelbar bevor ich die Walze komplett aufgerollt hatte, verlängerte ich den Ballen, indem ich das Band für die äußere Radnabe mittig am Spulenausläufer anklebte.
Daraufhin produzierte ich einen zweiteiligen Tight Coil, den ich nach der Fertigstellung in das Zentrum meines Formwerkzeugs steckte.
Nun begann ich mit der Felgenmodellierung, indem ich den 250 Zentimeter langen Riemen entlang der äußeren Radschablonenringkante führte. Bevor ich die erste Runde drehte, stattete ich die Innenseite des Streifenstartpunkts mit etwas Kleber aus, sodass der Reifenaufsatz von Anfang an seine Form behielt.
Speichen und Gummisohle
Nachdem ich das Ende des vollendeten Ring Coils ebenfalls fixiert hatte, schnitt ich mir aus Schaschlikspießen zehn Holzstäbchen zurecht, die jeweils 11 Millimeter groß waren.
Als Nächstes steckte ich meine Speichen im gleichen Abstand zueinander zwischen Felge und Nabe. Unmittelbar danach pinselte ich die Vorderseite des Wagenrades mit einem Bastelkleber auf Wasserbasis ein, um die einzelnen Bauteile zu fixieren. Dann wartete ich, bis das Bindemittel getrocknet war, damit ich auch die Rückseite der Antriebsrolle konservieren konnte.
Zu guter Letzt bemalte ich mein Speichenrad mit braunen Acrylfarben. Kurz darauf stellte ich meinen antiquierten Gebrauchsgegenstand fertig, indem ich die Lauffläche mit einem Moosgummistreifen besohlte, der eine Breite von 0,5 Zentimetern besaß.
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Wie werden Bierfässer gebastelt? Eine Anleitung mit Schablonen
¹Sturm, Andreas: Für Repräsentation und schwere Arbeit: Der Wagen im frühen Mittelalter. In: Karfunkel Nr. 107 (2013). S. 19.
²Schlichtherle, Helmut: Als die ersten Räder rollten. unesco-pfahlbauten.org (PDF) (04/2020).
³Oberschmidt, Norbert: Das Rad. Eine bewegte Geschichte. Ubstadt-Weiher: verlag regionalkultur 2015.
⁴Palmen, Christoph: Konstruktionen des Leichtbaus - das Prinzip Speichenrad. reimer-mann-verlag.de (PDF) (04/2020).
⁵Adams, Harald: Der letzte seines Standes - Wagner Henninger. youtube.com (04/2020).
⁶Stillich, Sven: Haaaaaaalllllt! In: ZEIT WISSEN Nr. 3 (2017). S. 53.
⁷Blümel, Miriam Jolien: Der Keltenfürst von Hochdorf. In: Pax et Gaudium Nr. 5 (2001). S. 39.
⁸Anhalt, Utz: Kanonen und Musketen. Die Erfindung des Schießpulvers. In: Zillo Medieval Nr. 8 (2013). S. 18.
⁹Schätz, Andre: Tongeschütze in den ersten Kanonen. In: Karfunkel Nr. 139 (2019). S. 22.
¹⁰Vetter, Veronika Helga: Ubuntu: Video-DVDs in ISO-Abbilder verwandeln - Profitipps. pinguin.gws2.de (04/2020).
¹¹Vetter, Veronika Helga: Kinderwagen aus Papier - rollende Babykarosse mit Lederverdeck. bastelkommission.de (04/2020).
¹²HAMBURG CHANNEL: Stellmacher - Kutschen und Karren bauen und reparieren. youtube.com (04/2020).
¹³Raddurchmesser: 30, 45 und 60 mm.
¹⁴Vetter, Veronika Helga: Was ist Quilling? - Papierstreifen werden zum Eierbecher. gws2.de (04/2020).