Besonders modebewusste Frauen müssen jetzt tapfer sein: Das textilähnliche Obermaterial von Wildlederschuhen stammt weder vom Hirsch noch von anderen Waldbewohnern. Wenn samtig-weiche Pumps nicht gänzlich aus veganen Synthetikfasern bestehen, dann tragen klassische Stalltiere zum Materialmix bei. Streng genommen ist der Rohstoff für sogenanntes Wildleder sogar ein Abfallprodukt, das schon vor der Gerbung anfällt. So sind die Häute von Rindern und Schweinen nämlich viel zu dick, um daraus feine Kleidungsstücke oder Polsterbezüge zu nähen, weshalb eine Spaltung¹ vonnöten ist. Nach der Teilung stehen eine Narben- und eine Fleischseite² zur Verfügung, wobei der Volksmund Letztere nach der Konservierung als Wildleder bezeichnet.
Ein Spaltleder kann keine glatte Seite haben. Es ist von der Struktur her schwächer und ist von der Qualität nicht ganz so gut wie ein Narbenleder.
Hack, Christoph: Lederarten - ein Erklärungsversuch. youtube.com (09/2021).
Der korrekte Begriff für eine gegerbte Tierhaut mit zwei rauen Oberflächen wäre allerdings Veloursleder. Trotz gewisser Ähnlichkeiten ist diese Sorte nicht mit dem höherwertigen Nubuk³ zu vergleichen, das aus beschädigten Narbenseiten zurechtgeschliffen wurde.
Nubuk ist ein Rinds- oder Kalbsleder von der Narbenseite, das durch leichtes Schleifen eine sehr feine, veloursähnliche Oberfläche bekommen hat.
Albrecht, Peter & Horst Wolniak: Die Geschichte des Handwerks. Fränkisch-Crumbach: EDITION XXL GmbH 2004.
Doch nicht nur die Produktbezeichnung, sondern auch die Farbeigenschaften von Velours-, Spalt- oder Wildleder führen häufig zu Irritationen. Denn wird dieses aufgeraute Obermaterial für längere Zeit beansprucht, nass abgerieben oder mit einem falschen Pflegemittel behandelt, dann bekommt es graue⁴ Flecken. Dies liegt daran, dass Textildiscounter und Modeversandhändler die von der EU vorgegebenen Umweltauflagen⁵ umgehen, indem sie das Halbfabrikat von Veloursleder mithilfe des Chromgerbverfahrens in Schwellenländern⁶ herstellen lassen. Hierbei erhalten die gespaltenen Tierhäute während des Konservierungsvorgangs eine silberblaue Grundierung, welche den Namen Wet Blue trägt und die beim Abtragen der später angebrachten Endkoloration zum Vorschein kommt.
Erst am Ende des 19. Jh. wurden neue Gerbmethoden entwickelt, darunter vor allem die Chromgerbung, die erst eine industrielle Ledererzeugung ermöglichte, da in rotierenden Fässern mit basischen Chromsalzen in relativ kurzer Zeit der Gerbvorgang erfolgen konnte.
Gall, Günter: Leder. In: Reclams Handbuch der künstlerischen Techniken 3. Stuttgart: Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG 1986. S. 299.
Soll höherwertiges Veloursleder in luxuriösen Damenschuhen aufgehen, dann erhält es nach dem Durchfärben noch einen sogenannten Top Coat. Hierbei verhindern Hydrophobiermittel, dass Wassertropfen in die aufgerauten Fasern einsickern. Während der Nassreinigung würden aber selbst imprägnierte Wildleder ausbleichen und Flecken bekommen, weshalb sich für die Schmutzentfernung nur spezielle Radiergummis oder Kleiderbürsten eignen.
Das von Natur aus atmungsaktive Leder wird mehr oder weniger versiegelt. Die eingesetzten Substanzen sind aus ökologischer und gesundheitlicher Sicht problematisch.
Wahrenberg, Astrid: Auf die Gerbung kommt es an. schrotundkorn.de (09/2021).
Die exzessive Färbung, Nachbehandlung und Pflege wäre nicht nötig, kämen bei der Tierhautkonservierung pflanzliche Tannine zum Einsatz, da die althergebrachte Lohgerbung⁷ hellbraune Halbfabrikate hervorbringt. Wochenlanges ziehen in einer Lauge aus Taraschoten oder Eichenrinde würde dem Wildleder aber seine Weichheit und Flexibilität rauben. So gesehen kann der textilähnliche Rohstoff, der besonders in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ein Markenzeichen der High Society war, nur mithilfe von Chromsalzen erzeugt werden.
Als wäre die Herstellung des Originals nicht problematisch genug, produziert die Konfektionsindustrie zusätzlich synthetische Kleidungsstücke, die als Lederimitate bezeichnet werden und eine Veloursoptik aufweisen. Diese veganen Wildledergewänder⁸ sind natürlich für Teenager oder junge Frauen gemacht, die nur wenig Geld für ein Outfit ausgeben können, aber trotzdem die sichtbaren Rauledereigenschaften zur Schau stellen möchten.
- Hingegen Bastelliebhaber wie ich nutzen gerne Acrylfarben, um das Erscheinungsbild von gegerbten Tierhäuten nachzustellen, was ebenfalls ein ökologisches Desaster ist.
- Dementsprechend wollte ich eine nachhaltigere und zugleich authentischere Alternative entwickeln, um einen dynamischen Samtledereffekt auf Papier zu erzeugen.
Nach etlichen Fehlversuchen stellte sich irgendwann heraus, dass die besten Ergebnisse zum Vorschein kommen, wenn lösungsmittelfreier Bastelkleber auf Wasserbasis eine Symbiose mit Filzwolle eingeht.
Flaumige Fellhaptik...
Als Tierhautersatz eignet sich handelsübliches Tonpapier am besten, da Bindemittel auf der rauen Oberfläche dieses Werkstoffs sehr gut haften, ohne gleich einzuziehen.
Demzufolge startete ich die Papiergerbung, indem ich meine Zellstoffblöße⁹ großzügig mit weißem Bastelkleber einstrich. Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich für diese Arbeit einen Pinsel mit synthetischen Borsten verwendete. Aber Leim und andere zähflüssige Massen wirken sich zu negativ auf die Haltbarkeit von Naturhaarprodukten aus, weshalb Kunstfasern in diesem Fall die nachhaltigere Lösung sind.
Im nächsten Schritt hielt ich meine Filzwolle zusammen mit einer Schere über die klebrige Oberfläche und ließ ein bis zwei Millimeter lange Schaffellbüschel auf das Tonpapier regnen.
...wird zu Veloursleder
Als Nächstes verteilte ich den Vliesstoff sanft mit meinen Fingerspitzen, sodass der Untergrund keine kahlen Stellen mehr aufwies. Nachdem ich daraufhin die geschnittene Wolle leicht auf die Kleberschicht getupft hatte, ließ ich das Ganze fünf Minuten lang ruhen.
Sobald der kurze Trocknungsprozess abgeschlossen war, wedelte ich die haltlosen Filzfasern mit einem Pinsel von der Tonpapierhaut, infolgedessen eine veloursähnliche Fassade zum Vorschein kam.
Abschließend könnte ich schwach bedeckte Flecken auffüllen, indem ich die vorangegangenen Handgriffe punktuell wiederhole. Doch mir gefiel die Dichtigkeit meiner Wildlederoptik, weswegen ich lediglich die überstehende Wolle auf Randkantenlänge zurückstutzte.
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¹Leonhardt, Birgit: Gerber | Ausbildung | Beruf | Ich mach’s | BR. youtube.com (09/2021).
²Dargel, Johannes-Jens: Das Einmaleins der Lederherstellung. Eine Kleine Lederkunde. fotogruppe-monumente.de (PDF) (09/2021).
³Pietsch, Christian: Lederarten | Lederlehre. youtube.com (09/2021).
⁴Graßmann, Markus: Leder & Lederbearbeitung. youtube.com (09/2021).
⁵Rauch, Beat: Von der Kuh zum Schuh - Dokumentation von NZZ Format (2010). youtube.com (09/2021).
⁶Hartl, Martin: Abfall-Management für die Lederindustrie. pure.unileoben.ac.at (PDF) (09/2021).
⁷Reith, Reinhold: Gerber. In: Das alte Handwerk. Von Bader bis Zinngießer. Hrsg. von Reinhold Reith. München: Verlag C. H. Beck 2008. S. 83.
⁸Hirsch, Simone: Veganes Leder & was sich wirklich dahinter verbirgt. leder-fritz.de (09/2021).
⁹Rausch, Jörg: Blöße. leder-info.de (09/2021).
Renate Fleischmann sagt:
Hey! Coole Infos! Ich bin Reenactment Anhängerin und mache meine Kostüme alle selbst. Die Anleitung hat mir sehr geholfen und mich total inspiriert. <3<3<3